Junge Frau in einem Sessel vor einem Mikrofon.

Folge 3

Ellas I am There-Methode: Eine Autistin erklärt, was sie ausmacht und was sie braucht

Erscheinungstermin: 20.02.2024, Autorin: Mirjam Rosentreter

Ansage (Mirjam Rosentreter, Moderatorin/Host 1): Liebe Leute, schön, dass ihr uns gefunden habt! Vorweg ein Hinweis: Der Gast in unserer heutigen Folge benutzt ein Pseudonym, um die Privatsphäre und die Familie zu schützen. Es gibt zu dieser Langversion unseres Podcasts auch eine kurze, den Kurzpod, den ihr unter demselben Titel findet. Ein Manuskript zu dieser Seite findet ihr auf unserer Seite spektrakulaer.de.

Intro

Musik: (Joss Peach: Cherry On The Cake, lizensiert durch sonoton.music)

Sprecher: Spektrakulär – Eltern erkunden Autismus.

Mirjam: Hallo! Herzlich willkommen zum neuen Podcast des Autismus-Elternkreises im Martinsclub Bremen. Mein Name ist Mirjam Rosentreter. Ich bin Journalistin, Mutter eines Sohnes im Autismus Spektrum, und ich mach das hier nicht alleine: Bei mir ist Marco Tiede.

Marco Tiede (Co-Moderator/Co-Host): Ja, Moin! Ich bin auch Vater eines Jungen im Spektrum, und ich arbeite Therapeut und auch als Berater.

Mirjam: Erkunde zusammen mit uns Autismus in all seinen Facetten.

Intro-Ende: Musik + Geräuscheffekt (Klapper)

Sprecherin: Heute mit Ella – Autistin, ADHSlerin, Auszubildende

Einstieg

Mirjam: Willkommen, liebe Ella!

Ella (Gast): Hallo.

Mirjam: Moin nochmal Marco!

Marco: Moin!

Mirjam: Hallo auch an alle, die uns zuhören! Wir sitzen hier wieder in meinem kleinen Podcast Studio, heute unter einem Blau weißen Himmel, weil kleine Wolken vorbeiziehen. Und wo ihr uns wohl gerade zuhört, das würde mich interessieren, aber das kann ich ja jetzt gerade gar nicht wissen. Hier bei uns um die Ecke vielleicht, nur 2, 3 Straßen weiter oder einer ganz anderen Ecke von Deutschland oder sogar der Welt? Wir haben ja mitbekommen, dass unsere letzte Folge sogar Menschen in europäischen Nachbarländern und in den USA, in Kanada und sogar in Ägypten erreicht hat.

Marco: Ja, und einer meiner Kollegen weilt gerade in Argentinien, der wird sich das dort angehört haben. Er hat schon Rückmeldung gegeben.

Mirjam: Sehr schön, ja! Danke auch für eure Rückmeldungen, wir haben uns sehr darüber gefreut!
Unser heutiger Gast ist Ella. Und die ist unserem Podcast nicht im World Wide Web das erste Mal begegnet, sondern quasi leibhaftig. Denn ich hab sie getroffen auf einer Messe des Martinsclubs, einem Jobtag für inklusive Berufe und für mehr Inklusion im Arbeitsleben, und das war, bevor er noch eigentlich auf Sendung und online zugänglich war. Wir standen da an einem Tisch mit Ankündigungs-Plakaten für unseren Podcast, und Ella kam direkt auf mich zu und fragte mich ins Gesicht: „Erkennen Sie eine Autistin, wenn sie vor Ihnen steht?“ Was für eine Eisbrecher-Frage! Du applaudierst dir selber – bist du immer so direkt?

Ella: Ja, bin ich. Deswegen mögen mich halt meine Freunde so, weil ich so direkt und ehrlich bin.

Mirjam: Warum bist du so direkt?

Ella: Also, ich bin immer sehr ehrlich. Und das ist einfach so, weil, im Kopf man denkt: Ja wieso soll man lügen? Das ist halt so, ganz einfach. Und ich war eher schüchtern und hab mich immer vor allen versteckt. Und dann hab ich gesehen, wie jemand, der mir sehr nahe ist, verletzt wurde, und dann wurde ich sauer und hab zum ersten Mal… Gefühle wahrgenommen so richtig. Und hab dann gesagt: Ja, sie wurde wegen mir verletzt, weil ich sozusagen – ähm, wie sage ich das jetzt nicht umgangssprachlich – mich in mein Schneckenhaus verkrochen habe! Und lieber gesagt habe: Ja, meine Schwester, die hat das gemacht. Und hat sie halt dann die Backpfeife entgegengenommen im Gegensatz zu mir.
Jeder hat wahrscheinlich jemand so gehabt in der Schule, die Clique oder die eine Person, die einen überhaupt nicht leiden kann, die einen fertig macht. Und in dem Fall hatte ich meine Erzfeindin gefunden, und sie hatte mich gefunden. Und zwar hab ich ihr `nen Streich gespielt und ihren Schultornister versteckt – und zu dem Zeitpunkt waren Schultornister sehr teuer – und sie musste dann ohne den nach Hause und hat richtig Ärger bekommen. Leider hat jemand mitbekommen, wie ich den versteckt habe. Und deswegen waren mal so eben 50 Leute an den Tag auf der Suche nach mir, und zwar auch noch am besten, wie man sich das so vorstellen kann, in der Schule in einer Sackgasse, wo du alleine bist und du hast nur eine Freundin dabei. Und klar, jetzt könnte das ein schlechtes Ende nehmen und so. Aber nein! Ich habe meine Lektion gelernt! Ich wollte nicht, dass noch mal jemand verletzt wird wegen mir. Ich habe dann gesagt, warum ich das getan habe. Also, es gab ja einen Grund, wieso sie meine Schwester geschlagen hat: Ich hab mich halt gerecht, weil sie mich 131 mal Opfer genannt hat, hässliches Mädchen, Augenkrebs und so weiter…

Mirjam: Boah!

Ella: All diese Wörter, das waren zu dem Zeitpunkt sehr verletzende Wörter für mich. Vor allen Dingen, weil ich alles wortwörtlich nehme und persönlich nehme. Ich hab gesagt: „Weißt du was? Du hast meiner Schwester wehgetan! Und ich sag jetzt mal was Ehrliches: Ich war das. Ich hab alles geplant. Ich hatte die Idee, deine Sachen wegzunehmen. Ich wollte, dass du leidest! Und wenn du dich jetzt fragst: Warum? Ganz einfach: Du hast mich so oft und so oft so genannt, und so und so und so und so, dabei hab ich dir nie etwas getan! Im Gegenteil, ich fand dich sogar sehr nett und sehr hübsch! Aber stattdessen hast du dich über mich lustig gemacht! Weil ich jeden Tag vielleicht nur Blau anziehe, weil das meine Lieblingsfarbe ist und so. Und weil ich nicht so viele Freundinnen hab. Ich sag jetzt mal was: Ich wette mit dir – wenn du jetzt wirklich noch wütend auf mich bist – du wirst es niemals bis zur zehnten Klasse schaffen, meine Schultasche zu klauen!“
Seitdem habe ich… wegen vorbildlichen Verhaltens konnte ich drin in der Klasse sitzen und in der Bibliothek sein. Und seitdem bin ich so direkt und offen. Ja, denkdas gefällt mir halt. 

Mirjam: Und machst dich transparent. Denn das fand ich so interessant. Also, du kamst an den Tisch – also, noch mal kurz zurück zu dieser Situation – hast mir diese Frage gestellt, ob ich erkenne, dass du Autistin bist im Grunde. Und dann sind wir sofort rein ins Thema. Aber bevor wir in dieses Thema jetzt noch tiefer einsteigen: Was hast du bezweckt, mich direkt zu fragen, ob ich erkenne, dass da eine Autistin vor mir steht?

Ella: Das kann ich ehrlich beantworten: Weil, in der Vergangenheit wurde ich halt für Dinge ausprobiert. Ich war sozusagen ein Versuchskaninchen! Und ich hab dafür nie etwas bekommen oder so, sondern, es wurde halt einfach immer wieder gemacht. Und ich hatte halt keinen Bock mehr darauf. Ich dachte halt, vor mir ist jetzt ja wieder jemand, der sich sozusagen mit falschen Informationen oder so schmücken möchte. Und ich wollte mal austesten, ob diese Person auch so eine Person ist, die sozusagen sagt: Ja, ich kenne mich damit aus. Und dabei stimmt das eigentlich gar nicht! Ich wollte halt wissen, ob die Person gut ist oder böse ist. Und zum Glück war’s dann eine nette Person!

Mirjam: (lacht)

Ella: Mit der man dann sehr gut reden konnte! (lacht)

Mirjam: Ich hab mich ein bisschen…

Marco: Ich hab da mal noch ne Frage…

Mirjam: Ja, mach mal.

Marco: Was meinst du mit diesen Versuchskaninchen-Aktionen, was hat man da mit dir probiert?

Ella: Da kann ich mich noch sehr gut dran erinnern. „Ja, ähem: Könnten wir ein paar Tests mit ihrer Tochter und so machen?“ Und ich hab meiner Mama gesagt: „Wenn es sein muss. Aber schreib ihm hin: keine Blutabnahme!“ Mama so: „Ach Quatsch! Die werden das schon nicht tun.“ Klingelt‘s an der Tür bei uns zu Hause, mit Arzt und Koffer und so weiter. Ja, und dann reden wir, und dann machen wir halt diese blöden Tests und Übungen. „Und jetzt würden wir gerne noch einmal ne Blutprobe nehmen.“ Ich guck meine Mama so an: „Hab ich‘s nicht gesagt? Hab ich‘s nicht gesagt!“ Ich hab gesagt: „Sie kriegen von mir nen Speichel, das ist das mindeste, aber Sie kriegen von mir kein Blut! Weil, ich war mit dem von Anfang an nicht einverstanden. Und wenn Sie Blut zapfen wollen, dann von meiner Mutter!“

Marco: Hmmh. Also ging’s da um diagnostische Tests?

Ella: Ja. Ab da hat’s mir gereicht.

Marco: Ja, verstehe, hmm. Mir war nur nicht klar, dass man bei einer Diagnostik dann auch Blut entnimmt. Also, vielleicht wenn’s darum geht, zu gucken, ob und wie es jetzt genetisch weitergeht – beziehungsweise ist ja klar, dass es genetisch vererbbar ist. Aber, ob irgendwie…

Ella: Vor allem, zu dem Zeitpunkt hatte ich ja meine Diagnose noch nicht! Die haben mich schon so behandelt, nur weil ich ADHSlerin bin. Das mit dem Autismus kam ja dann noch oben drauf.
Ich hab sozusagen von meinem achten Lebensjahr bis zu meinem 13. Lebensjahr damit gelebt, dass ich nur ADHSlerin bin und damit auch eine sehr, sehr anstrengende Tochter für meine Familie.

Mirjam: Wir merken schon: Ganz schön viele Punkte in deinem Leben, wo du so Aha-Momente hattest.

Ella: Ja, das war schon so, ja.

Mirjam: Dein Thema, dass du heute mitgebracht hast: Du hast dich mir transparent gemacht in dem Moment. Und ich hab mich ein bisschen aus der Affäre gezogen. Ich hab gesagt: „Wenn du mich schon“… oder wenn Sie – denn da waren wir noch beim Sie, „wenn Sie mich schon so direkt fragen, dann gehe ich mal davon aus, dass Sie vielleicht Autistin sind?“ (schmunzelt)

Ella: (lacht)

Mirjam: In dem Moment, als wir uns da das erste Mal begegnet sind. Woran hast du denn vielleicht gemerkt, dass ich nicht Autistin bin?

Ella: Das ist, wenn ich das jetzt auf die Mimik übertrage, sehr einfach zu sehen. Wir Nicht… also, wir Autisten, wir haben einen bestimmten Gesichtsausdruck. Weil, den hat man über die Jahre entwickelt. Man ist ja eigentlich sozusagen zum Teil Roboter – so sagt das halt meine Mutter immer – weil halt der Gefühlsaspekt nicht richtig ausgereift ist und deswegen unser Gedächtnis und unsere Logik das ausgleichen müssen. Und wenn du sozusagen gerade nicht in Betrieb bist, also gerade nicht gebraucht oder ‚an‘ bist oder gerade nichts zu tun hast zum Beispiel… jeder Autist kann das, glaub ich, nachvollziehen. Sie gehen – stellen du oder Sie sich das jetzt vor – Sie gehen durch eine Menschenmenge, Sie haben keinen Text, Sie kennen niemanden, Sie wollen einfach nur durch diese Menschenmenge. Und Sie sehen diese Augenblick… Augenkontakte, und Sie denken sich: Ich will hier weg! Weil, ich fühl mich hier unwohl. Die gucken mich an. Ich will mich nicht blamieren. Ich will nicht, dass sie mich weiter angucken. Man hat einfach… diesen, diesen Blick… wenn man zum Beispiel ein Passfoto machen muss, und die Leute sagen: „Ja, Sie dürfen nicht lächeln!“ Das ist dieser typisch autistische Ausdruck! Wenn man jetzt nichts spürt. Wenn man jetzt aber glücklich ist, dann ist man halt ganz normal mit Lachen und so oder traurig oder so, oder ängstlich, das ist ganz normal. Aber wenn man halt dann gerade nichts fühlt, dann ist dieser Ausdruck. Deswegen, also dann habe ich schon erkannt von außen her, dass du kein Autist bist.

Mirjam: Hm. Also gut, dass du keine Angst vor mir hattest und mich nicht böse fandest. (lacht) Ich fand dich auch gleich sympathisch.

Marco: Also, ich kann nochmal kurz anmerken, auch wenn ich jetzt seit gut zwanzig Jahren auch schon mit Autisten arbeiten konnte – also, auch schon in meinem Kunsttherapie-Studium hatte ich ja auch Malkurse angeboten, da auch schon mit AutistInnen gearbeitet, und jetzt seit zehn Jahren im Therapiezentrum. Ich kann nicht sagen, dass ich spontan jederzeit Autisten erkennen würde auf dem ersten Blick. Das hat ja viel auch mit dem Habitus zu tun, mit der Interaktion und ein bisschen was darüber rauszufinden, wie nimmt denn mein Gegenüber die Welt wahr? Und dann kann ich so ne Ahnung davon bekommen. Oder irgendjemand sagt es von sich. Aber ich würde es jetzt, glaube ich, wenn ich dich jetzt auf der Straße träfe, ohne dass wir gesprochen hätten, glaube ich auch nicht sofort erkennen. Weil Autismus ja auch so vielgestaltig ist.

Ella: Ja, ist vielfältig. Aber in meiner Klasse sind wir sieben Autisten, und bei denen konnte man allen diesen Gesichtsausdruck sehen. Das ist… also, wenn die sich nicht melden oder nicht drangenommen werden oder nicht reden, dann ist dieser Gesichtsausdruck. Deswegen. Ich kann’s nur von meiner eigenen Erfahrung sagen.

Marco: Ja, das kenne ich tatsächlich auch, dass dann auch die Mimik eher, ähm, wie soll ich sagen…

Ella: Eingefroren?

Marco: Eingefroren? Ich find sie nicht eingefroren. Aber so, ich sag mal: einfach oder simpel, also dieses entspannte Gucken. Also, jemand hat das mal so beschrieben: „Ich kann auch glücklich sein, ohne ein Lächeln aufzusetzen. Nur das Lächeln aufzusetzen, bedarf ja einiger muskulärer Anstrengung im Gesicht. Warum soll ich diesen Aufwand machen? Ich weiß doch für mich, dass ich glücklich bin!“ Also klar, es gibt natürlich hier und da auch mal emotionale Äußerungen, und dann zeigt sich das auch im Gesicht. Aber nicht, weil ich das will, dass andere sehen, sondern weil es mir grad so rauskommt. Weil, das ist ja mal die Frage: Will ich, dass andere sehen, dass ich glücklich, traurig, wütend, irgendwas bin, oder ist mir das eigentlich gerade egal, weil: Ich fühl’s, und das reicht mir schon. Das ist anstrengend genug manchmal. Höre ich von vielen Leuten im Spektrum, die da schon mit ihren Emotionen genug zu tun haben.

Mirjam: Schön, Ella, dass du zu uns gekommen bist und jetzt ganz entspannt, wie ich finde da im Sessel sitzt, nachdem wir ein bisschen hier angekommen sind. Du bist 23 Jahre alt, kommst aus Bremerhaven und hast schon ein paar Stationen in deinem Leben, hinter denen du so einen Haken setzen kannst. Also, du hast Abitur gemacht…

Ella: Ja, mit nen paar Specialeffects. (lacht)

Mirjam: (lacht) Du hattest schon mal nen Freund…

Ella: Einen?

Mirjam: Ja?

Ella: Ich geb denen Nummer: Zehn!

Mirjam: (lacht)

Ella: Ich weiß zwar, welcher Name hinter jeder Nummer ist, aber so kann ich halt dann immer sagen: Ja, das war der.

Mirjam: Also ein paar Haken setzen. Du hast deine erste eigene kleine Wohnung weg von zu Hause, weil du eine Ausbildung machst im dritten Ausbildungsjahr am Nord Campus für das Fach Büromanagement…

Ella: Den Beruf Kauffrau für Büromanagement.

Mirjam: Und davor gab es, und das haben wir jetzt auch schon gleich zu Beginn gehört, noch einige andere Wendepunkte in deinem Leben, die sehr persönlich sind und über die wir heute sprechen wollen. Und vor allem interessiert mich diese besondere Technik, die du da geschildert hast, in der Grundschulzeit – oder mit zwölf bist du nicht mehr Grundschule gewesen – als du, diese Situation hattest mit der aggressiven Mitschülerin und du deine Schwester verteidigt hast. Diese Technik, dich klar zu machen.

Ella: Das war erst mit dreizehn, das war fünfte bis zehnte Klasse.

Mirjam: Die hat mich total beeindruckt, als wir uns darüber schon damals bei diesem Jobtag an unserem Messestand unterhalten haben. Dass du für dich so eine Art Trick erkannt hast, wie du mit Menschen, die nicht im Autismus Spektrum sind, auf einen gemeinsamen Nenner kommst.

Ella: Ah, den meinst du! Ja!

Mirjam: Ne? Das war ja damals auch so: Du hast quasi gefragt: Warum hab ich das gemacht? Und was könnte ihr helfen, zu verstehen warum ich das gemacht habe. Also: „Was ist meine Situation und was ist deine?“

Ella: Ich stand an der Wand mit meiner Zwillingsschwester, sie stand vor uns beiden, und ich hab Angst bekommen, weil es waren halt schon ziemlich viele Menschen. Aber die Angst war in dem Moment vorbei, als sie meine Schwester gehauen hat. Und ich wurde ja schon gemobbt, weil ich mit meinem zwölf Jahren schon so 17 cm Absatz tragen konnte, und mit denen bin ich auch gerne zur Schule gegangen! Da lache ich immer, wenn ich bei Germanys Next Topmodel sehe, wie die sagen: „Ja ich will das werden, aber ich bin noch nie in meinem Leben damit rumgelaufen!“ Aber solche Menschen mobben, die das dann können mit zwölf, ne? Ja, Logik! Und dann habe ich zum ersten Mal diese Wut, Mut und alles gefühlt. Vorher hab ich alles immer nur sozusagen als Stille, Leise über mich ergehen lassen. Aber dann war vorbei. Dann war ein neues Selbstbewusstsein geboren.

Marco: Hm, also könnte man sagen, dass, wenn du das so sagst, du hast das erste Mal Wut und Mut gespürt und die Bereitschaft, nach außen zu gehen, dass du das vorher so als stille Beobachterin..

Ella: Ja.

Marco: …mitbekommen hast. Also, weil, gespürt hast du es ja bestimmt auch, nur dass du da immer noch in der Beobachter-Perspektive geblieben bist.

Ella: Genau! Ich sag das auch immer den Lehrern, wenn wir was Neues lernen: „Sie brauchen sich nicht wundern, wenn ich mich jetzt die ersten paar Tage nicht melde, das ist meine Beobachtungsphase.“ Ich gucke, wie die anderen das beantworten, damit ich erkenne, worum es genau geht. Ich interpretiere das dann nicht falsch von meiner Seite aus. Weil, ich brauche immer jemanden, der eine Vorlage bildet, so war es halt schon immer, auch schon in der ersten Klasse. Daran kann ich mich auch noch gut erinnern. Ja, und dann sagen die: „Ja, ist in Ordnung.“ Und dann, wenn ich das dann gerafft habe, dann melde ich mich auch wieder, und dann mache ich mit und setz meine Stärke – und das sind mein Gedächtnis und meine Kommunikation – ein. Und dann wird’s meistens entweder sehr gut oder gut.

Marco: Hm, finde ich aber sehr nachvollziehbar, dass du dir diese Beobachter-Position, Beobachtungsphase auch genehmigst, also, die musst du dir ja genehmigen.

Ella: Natürlich genehmige ich mir die!

Marco: Ja klar! Um eben überhaupt, wie du ja schon sagst, ein Bild davon zu haben, was erwartet mich jetzt. Also, wenn ich in Fortbildungen bin, sagt ich auch oft zu den Teilnehmenden: „Leute, je mehr Vorhersehbarkeit ihr für autistische Menschen schaffen könnt, desto mehr Sicherheit bekommen sie“. Und – kleiner Fun fact am Rande – wenn wir in der Therapie anfangen am Autismus-Therapiezentrum, dann gibt es die ersten acht Wochen, die wir Beobachtungs-Phase nennen. Ich nenn’s manchmal auch Kennlern-Phase, weil ich manchmal nicht so genau weiß, ob ‚Beobachtung‘ ein bisschen bisschen observativ klingt…

Mirjam: Find ich auch.

Marco: Aber eigentlich ist es auch die Gelegenheit dann für die, die in Therapie kommen, sich das Ganze mal in Augenschein zu nehmen, anzugucken und uns kennen zu lernen, zu gucken: Was sind das jetzt für Leute, mit denen ich da zu arbeiten hab, wird das passen? Was erwartet mich hier? Das wird ja auch alles dann mit erörtert, neben dem… ja, wir machen dann auch bestimmte – mal wieder – Testungen, aber auch um eben aufgrund dessen, was wir dabei erleben, dann eine Gesprächsgrundlage zu haben, zumindest bei den sprechenden Autisten. Bei den nichtsprechenden ist das dann nochmal was anderes.

Ella: Man sollte auch unterscheiden zwischen Autisten und Autisten mit ADHS, da ist nämlich ein großer Unterschied, das habe ich auch gemerkt während meiner verschiedenen Stationen, die ich gemacht habe.
Aber, ich wollt halt bei der ersten anfangen. Und wenn du dich jetzt… also, wenn du zuhörst und Autist bist und dich da hineinversetzen kannst und das bei dir genauso war und du noch keine Diagnose hast, dann kannst du ja darüber nachdenken, ob du vielleicht Anteile vom Autismus in dir hast. Und zwar, in der ersten Klasse hatten wir ja gerade das Schreiben gelernt, die Buchstaben halt, und meine Lehrerin wollte, dass ich das Wort Tulpe schreibe. Und ich hab sie nur gefragt: „Ja, und wie mache ich das?“ Und sie hat geantwortet: „Ja, so wie man‘s spricht!“

Marco: (kichert) Interessant! (lacht)

Ella: Ich muss leider darauf sagen, das hatte nicht den Effekt, den die Lehrerin haben wollte. Stattdessen habe ich rumgeschrien, rumgejammert, dass sie mir nicht helfen, dass sie mir das nicht sagen möchte, weil ich das nicht verstehe. „Ich tue nicht so, ich versteh‘s wirklich nicht! Können Sie mir das einmal schreiben, dann kann ich‘s verstehen!“ Das hat sie nicht gemacht. Es hat dann damit geendet, dass ich dann von der Schule abgeholt wurde an dem Tag! Also, das war mein allererstes Mal, wo ich mich erinnere, dass ich eine Vorlage gebraucht hätte und keiner verstanden hatte, dass das wirklich so war.

Mirjam: Also, sie hätte einfach nur die Buchstaben einmal für dich hinschreiben müssen, damit du weißt, so schreibe ich ‚Tulpe‘?

Ella: Ja, weil, dann hätte ich mir das gemerkt, weil ich hatte damals schon ein sehr gutes Gedächtnis, noch nicht so wie heute, aber, das wäre halt kein Problem gewesen. Stattdessen habe ich eine Rechtschreibschwäche entwickelt, hatte Sprachprobleme, war sehr schlecht in Mathe. Und all das, das hat nicht die Schule korrigiert, sondern meine Eltern! Die haben mir dann sehr viel Nachhilfe gegeben, von Logopädien bis zur Schreib-, Rechtschreib-, Mathenachhilfe – nach der Schule zusätzlich. Also, von daher: Da hätte man schon eingreifen können.

Marco: Ich hatte gerade noch ein ganz komisches Bild im Kopf, weil ich manchmal schon vorauseilend, wenn ich sprichwörtliche Metaphern benutze, sie dann auch versuche, kurz klarzustellen, weil das ja manchmal wortwörtlich genommen werden kann. Allerdings hab ich da auch schon festgestellt, dass mir dann auch Asperger in der Erwachsenen-Gruppe gesagt haben: „Sag mal, warum erklärst du uns immer diese Wörter, denkst du, wir sind völlig bescheuert?“ Äh, kann auch passieren, weil, viele können damit umgehen. Aber, ich hatte gerade dieses Bild, als die Lehrerin dir sagte: „Ja, du schreibst es so wie du‘s sprichst.“ Da dachte ich: Okay, wie setz ich das jetzt um, wenn ich das jetzt wörtlich nehme? Wie schreibe ich, wie ich spreche?

Mirjam (lacht)

Ella (lacht)

Marco: Nehme ich einen Stift in den Mund? Oder hoffe ich, dass mit meiner Spucke sich jetzt Wort… Buchstaben bilden? Also, das war für mich gerade ein ganz seltsames Bild, was ich dann so mir vorgestellt habe, als ich diese Antwort der Lehrerin gehört hab, die also so erwartungswidrig reagiert hat, weil sie auch… weil du ja auch für sie erwartungswidrig reagiert hast.

Ella: Ja, genau!

Marco: Weil sie dachte, du wüsstest, was sie meint…

Ella: Nö.

Marco: …wenn sie sagt: „Du schreibst es wie du sprichst“.

Ella: Nö. (lacht)

Marco: Sie sagt ja nicht, was sie meint.

Ella: Genau.

Marco: Sie sagt nicht: „Du schreibst zuerst ein großes T, dann schreibst du ein kleines U, ein L, ein P und ein E.“ Weil, dass du einen Stift in der Hand halten konntest, das hat sie wahrscheinlich schon gewusst oder voraussetzen können. Das weiß ich nicht, wie da die Situation war. Aber, ich nehme an, der Stiftgebrauch war dann schon etabliert, oder?

Ella: Ja. Aber, ich hab dann so: „Häh?“ Also, ich hab: „Ich versteh das nicht!“

Marco: Ja, und das ist immer so der Dreh- und Angelpunkt, wenn ich in Lehrerteams in Fortbildung bin, ich sag immer: „Stellt eure Aufgaben konkret!“

Ella: Ja!

Marco: Wirklich konkret! Und nicht: Schreib, wie du sprichst. Danke für nichts! Kann man da nur sagen.

Ella: Ich hab hier auch ein tolles Beispiel aus dem Matheunterricht, für alle die Mathe hassen, das kann ich nachvollziehen: „Ähem: Berechnen Sie!“ Ja was? Was soll ich berechnen? Zentimeter? Millimeter? Gewicht? Gramm? Tonne? Ja, berechnen Sie! Da steht nur: „Berechnen Sie!“ (klatscht). „Öhöm: Nein!“ Sorry: geht so nicht!

Marco: Klar, da fehlt dann wieder der Kontext.

Mirjam: Also wäre dann… präziser, wenn man zum Beispiel was mit X, so ne Aufgabe mit X hat? Ich bin nicht mehr… ich kann mich nicht mehr so gut an Mathe erinnern. Dass sie dann, dass du dann da präzise sagst als Mathelehrer oder Mathelehrerin: „Berechne, welchen Wert X hat?“

Ella: Zum Beispiel.

Marco: Oder: „Berechne, welches… wie groß das Volumen in Kubikzentimeter oder in Kubikdezimeter etc. Oder berechne nach den Einheiten, die jetzt in der folgenden Tabelle auftauchen. Ne? Also, dann hat es nen Bezug. Aber nur „Berechnen Sie“, Ausrufezeichen, und dann kommt dort ne Kolonne von Zahlen und…

Ella: (applaudiert) Okay?

Mirjam: Ella applaudiert.

Marco: Also, das ist ja immer so diese Frage, die Lehrer oft nicht nachvollziehen können, dass dieser Kontext nicht selbstverständlich herstellbar ist, ne, aufgrund dieser Kontextblindheit, die oft auftritt – nicht auftreten muss, aber im häufig anzutreffen ist.

Mirjam: Also Kontextblindheit, das ist die… das ein Autist… also ich nehme jetzt…

Ella: Ich könnte es sonst anders erklären.

Mirjam: Okay, ja, das ist viel besser!

Ella: So mache ich das immer bei meinem Arbeitgeber oder bei anderen, die mich kennenlernen. Ich sag dann immer: „Du bist doch auch gerne im Internet? Ja, ich bin auch immer gern im Inter…wieso? Dann stell dir mal vor, du bist jetzt Google. Du fängst an, ein Wort zu schreiben, und Google gibt dir Tausend Interpretationsansätze, und dann wählst du irgendeinen von denen aus, und dann ist es das Falsche. Und das passiert, wenn du dich nicht konkret austestest. Zum Beispiel meine Schwester sagt: „Hol mal eben… kannst du mal eben mein Hausaufgabenheft holen? Liegt auf dem Tisch.“ Ich guck sie an: „Ja welchen Tisch?“ Weil, sie hat ja mehrere Zimmer (lacht), von daher braucht sie sich nicht wundern. „Boah, dann kann ich’s auch selber machen!“ Oh, ich hasse solche Argumente! Weil, das ist immer nur so: „Ja, nur weil du das und das hast, da können wir doch nicht immer Rücksicht drauf nehmen!“ Das ist, wirklich, seitdem ich diese Diagnose, ist das der ständige Satz, den ich an die Backe bekomme zu Hause, also.

Mirjam: Und es wird dann auch gleich emotional, ne? Also, du hast eigentlich nur ne Präzision gewollt… 

Marco: Ja, ja. Und das ist eben immer die Frage, wenn dann sone Sätze kommen „da kann ich doch nicht immer Rücksicht drauf nehmen!“ Oder, im Umkehrschluss: Glaubst du wirklich, dass alle auf dich Rücksicht nehmen? 

Ella: Ja, ja.

Marco: Äh? Was? Wie denn sonst? Also klar, die Welt ist jetzt nicht autismusfreundlich gestrickt – sofern sie überhaupt gestrickt ist, wenn man mal bei diesem Bild…

Mirjam: (kichert)

Marco: Also, sie ist nicht autismusfreundlich geschaffen. Und die größte Anpassungsleistung wird ja immer noch leider von den Autist*innen gefordert und nicht von den neurotypischen Leuten, die dann vielleicht auch mal aus ihrer Komfortzone kommen dürfen und sich ein Stück weit darauf einlassen, dürfen, sich konkret auszudrücken. Also, das ist eigentlich ja etwas ganz basales, sich einfach konkret auszudrücken, selbst unter neurotypischen Menschen…

Mirjam: Könnte jedem helfen.

Marco: …ganz hilfreich sein, sich konkret auszudrücken.

Mirjam: Ich finde es total faszinierend, Ella, dass du schon in der Grundschule, also in der ersten Klasse, wie du meintest, ja offensichtlich schon da wusstest, was du eigentlich haben willst. Nur die Lehrerin hat es nicht kapiert, dass du ja konkret gefragt hast: „Sagen Sie mir doch, was soll ich da schreiben!“

Ella: Wenn ich jetzt zurückblicke, dann wird mir das jetzt viel, viel deutlicher klar. Zwar hatte ich viel Nachhilfe, aber es hat nicht gereicht. Die wollten mich halt auf so eine Schwerbehindertenschule tun. Und meine Mutter ist dann vor Gericht dagegen vorgegangen, mithilfe des Arztes. Und, die haben dann dafür gesorgt, dass ich dann die erste Klasse – oder war es die zweite Klasse – auf jeden Fall, ich musste wiederholen.
Ich erinnere mich gerade von dem Podcast von der Folge 1 an eine Frage, die du…

Mirjam: Bianca?

Ella: …Bianca gestellt hast. Und zwar hattest du gefragt: „Was hat das mit dir gemacht? Also was haben die dir angetan?“ Als ich das gehört habe, habe ich an mich halt selber denken müssen, weil zwischen der dritten und vierten Klasse ich halt gemerkt habe, dass ich Schwierigkeiten habe, mich in Gruppen zu integrieren, und es gab immer diese Vierertische, und ich hab’s gehasst. Und ich hatte halt immer eine sehr gute Vertrauenslehrerin, und die hat dann halt gesagt: „Ja, lach doch mal!“ Hab ich gesagt: „Mir wurd das Lachen genommen.“ Das ist das, was ich drauf antworten kann – was hat das mit dir gemacht? Das hat mir das Lachen genommen. Seitdem hatte ich dann immer diesen monotonen Ausdruck.
Aber, ich hab’s dann mit Hängen und Würgen auf die nächste Schule geschafft – zum Thema autistisch-freundlich gestrickt. Ich war halt auf einer etwas anderen Schule, und ich glaube, das ist für mich das Beste, was hätte mir passieren können, auch wenn es halt sozial für mich nicht so gut war – darauf   kommen wir noch zu. Und zwar, ist es so, dass von der fünften bis zur zehnten Klasse ich auf die Paula-Modersohn-Schule gegangen bin. Und die hatte gerade halt, weil meine Zwillingsschwester ja ein Jahr nicht wiederholen musste, meine Schwester jetzt in der sechsten Klasse, und sie hatte halt dieses alte System, dieses typische Schulsystem. Es gibt Klassen, es gibt Noten, das halt, was man normalerweise gewohnt ist. Aber der damalige Schuldirektor hat halt gesagt, wir möchten ein komplett neues Schulsystem einführen und zwar das Kompetenz-Raster. Und ich hatte das Glück, mal wieder Versuchskaninchen zu spielen! Aber, meine ganze Klasse sozusagen – obwohl Klasse kann man das jetzt nicht nennen. Und zwar, die Klassen wurden abgeschafft. Es gab stattdessen Farbsäulen: Rot, Gelb, Blau, Gelb A, Blau A, Rot B, so ungefähr.

Marco: War das jahrgangsübergreifend? So, dass ihr dann nicht nur in einem Jahrgang wart?

Ella: Hm. Aber, ich wollt eigentlich jetzt mehr darauf hinaus, wie das halt ist:  Und zwar, du kommst in diese neue Schule. Du kennst niemanden, du hast ein ganz anderes System, was halt darauf aus ist, dass jeder in seinem eigenen Tempo arbeiten soll. Ich erklär mal, wie das ist: Man bekommt sozusagen – am  Anfang waren es noch einzelne Zettel – man bekommt eine Art Vertrag, und die sagen, du sollst dich selber einschätzen, wie viele Tests und Prüfungen du in diesem Jahr, Halbjahr schaffst. Und wenn du dein Soll erfüllt hast, dann gab es eine 2, also eine gute Note. Und ich konnte halt mich darauf überhaupt nicht konzentrieren in der fünften Klasse. Man kann das ja eigentlich schon damals, dass man diese Schulmäppchen hat mit Rot, Gelb, Grün und so weiter. Das wurde abgeschafft. Stattdessen hatte man einen Ordner, den man immer mitschleppen durfte – der Rücken bedankt sich. Und zwar, war es dann so, dass dieser Ordner, dann immer im Kompetenz-Raster halt die Fächer beinhaltete, mit den Kompetenzen Englisch, Deutsch und Mathematik, diese drei Fächer. Und weil man dann halt Angst hatte vor so vielen Menschen oder so, hat man dann halt den Ordner auf dem Tisch gestellt und sich schön dahinter versteckt, wie so ne Art kleine Schutzburg oder so. Das geht so lange gut, bis halt die Lehrerin dann rüberkuckt. Weil, sie versteht das ja nicht. Sie denkt, du machst irgendeinen Blödsinn oder so, passt nicht auf. Und dann gibt es halt wieder diese Elternabende, wo es dann Ärger gibt.

Mirjam: Also, ich meine mich zu erinnern, dass die Schule, von der du erzählst, bei der Zehnjahresfeier der Einführung der Inklusion in Bremen bei so einer großen… bei so nem Festakt vorgestellt wurde als Muster-Beispiel für Inklusion.

Ella: Hmhmhmhmhmhm. Das ist jetzt sozusagen mal die Erfahrung im Gegensatz zu dem, wir zeigen das von außen.

Mirjam: Wie bist du da durchgekommen, trotz allem?

Ella: Ähm, ich muss mal überlegen. Also, am Anfang gar nicht. Weil, ich hatte halt immer – und das kriege ich wirklich sehr selten noch – so ne komische Schnappatmung. Weil man halt sich… weil man halt so… sich beobachtet fühlt und so. Und da gibt’s Drama und alles Mögliche. Und wenn man das halt nicht wollte, hat man sozusagen versucht, dass das halt nicht mehr passiert.
Irgendwann hab ich dann dieses Kompetenzraster verstanden und hab dann gemerkt, dass mir Sprachen ordentlich Spaß machen. Und dann hatte ich auch nicht mehr so viel Kontakt zu den Lehrern, die extra für die etwas Schwächeren halt da sind, und hab mich hochgearbeitet. Naja, bis halt zu diesem Punkt, bis wo man selber sich hocharbeiten kann: Nachmittagskurse, Nachhilfekurse. Da war man schon mal so 16:30 Uhr oder 17:00 Uhr noch in der Schule. Und ich fand das halt sehr entspannt, weil – wie halt schon vor dieser Geschichte mit dieser einen Person – war ich wegen meinem vorbildlichen Benehmen immer erlaubt, in den Pausen drin zu bleiben. Und so war es dann auch mit Präsentation, dass du sozusagen gesagt hast: Nein ich mach das allein, und ich brauch die andern halt nicht. Die wollen mich nicht? Gut, ich will sie auch nicht! Weil, ich werde mir sowas nicht bieten lassen, mich so behandeln zu lassen. Und durch die Kompetenzraster konnste Einzelarbeit super machen: von Checkliste zu Checkliste, von Checkliste zu Checkliste – bis zum Abschluss.

Mirjam: Also, was ich so raushöre, haben dich deine Zielstrebigkeit…

Ella: Ja.

Mirjam: …da durchgebracht. Dann dieses… deine Selbstverteidigung? Würde ich es mal so nennen…

Ella: Ja.

Mirjam: Und du hattest aber auch ein im wahrsten Sinne des Wortes starkes Elternhaus offensichtlich.

Ella: Und ich hab ja auch ATZ-Therapie halt ab meinem dreizehnten Lebensjahr durch die Diagnose dann erhalten. Und hab dann ab da erst gemerkt, was in mir vorging. Weil, auf einmal hatte ich jemand gefunden, der mich versteht. Also, ich hab mir sozusagen – bevor ich überlegt habe, hierher zu kommen – hab ich mir eine kleine Methode ausgedacht, die das ungefähr zusammenfast, und zwar, wenn ich das jetzt mal nenne: I am there – ich bin da. Und zwar die ‚I‘, von icecold: In der Phase bist du halt eiskalt, du hast noch nicht so wirklich Gefühle oder Regungen und bist aus deiner Sicht halt nur für dich selber verantwortlich. Und du möchtest dich von Allen fernhalten, von Menschengruppen und so weiter. Aber irgendwann entwickelst du halt – weil‘s dann irgendwann nicht mehr so weitergeht – das Gefühl, dass du eigentlich auch mal gerne umarmt werden möchtest oder so. Dann wechselt das in diese Knowledge-Phase, weil du merkst, von dem Wissen her: Wieso geht das nicht? Wieso funktioniert das nicht? Und versuchst halt selber herauszufinden, warum es nicht so ist. Und in meinem Fall hatte ich dann halt jemand gefunden, und das war meine ATZ-Therapeutin. Und die hat mir dann aus ihrer Perspektive, ihrer neurotypischen Sicht, dann erzählt, wie das eigentlich abgelaufen ist. Und da hatte ich zum ersten Mal dieses Aha, diesen Aha-Effekt. Und auf einmal fühlt es sich so an, als ob all die Jahre über irgendein Knoten im Kopf oder so, irgendwas leichter geworden ist, als ob man irgendwie ne Luft rausgenommen hatte, die sich die ganze Zeit angestaut hatte.

Marco: Hab ich das richtig verstanden: Du hast also durch die Schilderungen deiner Therapeutin, wie sie bestimmte Situation, die du aus deiner Sicht schilderst, aus neurotypischer Sicht sieht. Und du hast aus dieser Gegenüberstellung dann ein umfassenderes Verständnis der Gesamtsituation bekommen?

Ella: Genau!

Mirjam: Könnt ihr noch mal kurz erklären, was neurotypisch bedeutet?

Marco: Ja. Neurotypisch sind alle die, die nicht autistisch sind, vermeintlich normal.

Ella: Also, ich hab damals zusammen mit meiner Schwester gern die Monster High geguckt, und da hießen halt die Menschen ‚Normalos‘ und die Monster halt ‚Monster‘. Und ich fand den Begriff ‚Normalos‘ gut. Und ich hab dann halt immer gesagt, die Leute, die nicht Autisten sind, sind Normalos und die, die Autisten sind, sind dann halt nicht Normalos. Und meine Mama hat das auch  toll gefunden, sie so: „Ach, Normalos! Ja, die, die geh’n mir auch auf die Nerven und so weiter. Also, dann irgendwann, als ich dann halt älter wurde, hatte mir meine Autistintherapie, halt Therapeutin dann gesagt, es gibt dafür einen Fachbegriff: Es gibt halt neurotypisch und nicht neurotypisch. Und da hab ich sie gefragt: „Ja, und was bin ich?“ – „Du bist nicht neurotypisch“ (schmunzelt).

Marco: Hm.

Ella: Um das halt zu erklären mit den Wörtern.

Marco: Ja.

Ella: Als es in der Schule dann bergauf ging, hieß das aber nicht, dass es halt bergauf zu Hause ging. Nee, das…da fingen halt dann erst die Schwierigkeiten an! Ich hatte die Diagnose, ich war 13 Jahre alt, und ich wurde gerade auf ein anderes Medikament gesetzt, weil ich halt auch ADHS habe und mir sehr oft jeden Herbst ununterbrochen, wirklich jedes Mal einen Knochenbruch zugezogen habe. Und weil ich halt so hyperaktiv war, hatten die versucht, mich auf ein anderes Medikament zu setzen. Und dann kam noch die Diagnose mit dem Autismus obendrauf.
Ich hab folgendes, folgendes gemerkt: Und zwar, wenn man mir zum Beispiel einen Auftrag gegeben hatte, dann lief der nicht ganz richtig. Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass es daran lag, dass die Leute sich nicht richtig ausgedrückt haben. Ich dachte, es lag halt daran, dass ich Pech habe oder sowas. Besonders ist das aufgefallen, als ich einkaufen gehen sollte. Ich weiß, ich hatte drei Jahre diese Schwierigkeit, in den Supermarkt zu gehen und die Dinge zu kaufen, die wirklich nicht nur ich haben muss, sondern auch die anderen. Weil, ich hab ja nur aus meiner Perspektive gedacht. Und deswegen gab’s jedes Mal Ärger, wenn ich nach Hause kam und es fehlte die Hälfte oder es fehlte ein Viertel und so weiter, und die mussten dann selber einkaufen gehen.
Das war die Zeit, die fand ich irgendwie am schmerzhaftesten. Weil, zum ersten Mal hast du gemerkt, dass irgendwas nicht stimmt, und hast immer wieder und immer öfter halt versucht, Therapiestunden zu bekommen. Weil, du wolltest jede Klitzekleinigkeit analysieren, um herauszufinden, warum das so war. Wie alt warst du da? Dreizehn, vierzehn.

Marco: Und da hattest du gleich die Therapie bekommen im ATZ schon?

Ella: Sehr schnell, ja.

Marco: Ah, schön.

Ella: Sie war es auch gewesen, als das ATZ das herausgefunden hat, dass ich Autistin bin.

Marco: In Bremerhaven, dann?

Ella: Ja, in Bremerhaven.Irgendwann ist dann der Groschen gefallen, dass es halt daran lag, dass ich halt nicht strukturiert und organisiert und detailliert die Aufgaben bewältige. Das war nämlich das Erste, was ich in meiner Autismus- Therapie gelernt habe: Du kommst in eine fremde Umgebung und musst dich orientieren, und du hast einen Auftrag. Ich weiß, das klingt jetzt ein bisschen für die Neurotypischen einfach idiotisch, aber der Auftrag war einfach nur: Mach dir eine Tasse Tee. Die Schwierigkeit dabei aber ist, dass ist eine Küche, die kennst du nicht, du weißt nicht, wo was ist. Und weil du halt dich so unsicher fühlst, überspringt du diesen Part und willst direkt was anderes machen. Man ist sozusagen unstrukturiert. Und bis man halt sich dann daran gewöhnt hatte, wo was ist, und wie man dann den Tee macht, und wo man das halt alles findet, da vergehen schon ein paar Therapiestunden. Das war die allererste Übung, die ich gelernt habe.

Marco: Ja, ja, diese eigene Struktur finden und einen Überblick bekommen und dann eben dabei dann auch dem neurotypischen Umfeld klarzumachen: Das machst du ja nicht mit Absicht, dass du das erstmal nicht weißt.

Ella: Das hab ich immer noch heute.

Marco: Weil, das ist ja immer der große Vorwurf, der kommt: Das machst du doch extra! Und du willst dich doch bloß drücken! Und sonst was, ne?

Ella: Das ist auch heute noch so – das hatte ich erst gestern mit meiner Zwillingsschwester – wo ich halt die Wäschebox verwechselt habe mit den BHs. Weil Mama fand, das ist besser, wenn es nur eine Box gibt und nicht zwei. Und ich habe den BH gegriffen, von dem ich halt dachte das ist mein BH, weil der sieht halt so aus, selbe Textur und so weiter, aber es war eine ähnliche Farbe gewesen. Das habe ich halt nicht richtig erkannt. Und meine Schwester hat mir nicht geglaubt, dass das ein Missverständnis war. Und sie hat gesagt: „So dumm kannst du doch nicht sein, das machst du doch extra!“ Da sag ich immer: „Nein, ich tu nicht so dumm! Ich bin wirklich so dumm!“ Das mache, meine ich ernst. Ich sag‘s so, wie es ist, immer in diesem Ton.
Zum Beispiel auf der Klassenfahrt: „Kannst du mal eben Zucker holen?“ Ich hol Zucker und der Supermarkt war 40 Minuten Fußweg entfernt. Und dann bin ich dahin, kam wieder, und die haben sich über mich lustig gemacht: „Mensch, Mädel, verstehst du den Unterschied nicht mehr zwischen Puderzucker und Zucker? Mit was sollen wir denn backen? Wir wollen doch Waffeln machen! Waffeln!! Hast du noch nie Waffeln gegessen, oder was? Die kann doch nicht so dumm sein!“ – „Habe ich nicht bedacht, ihr habt nicht gesagt, dass es Puderzucker sein soll.“ – „Das ist doch selbstverständlich!“

Marco: Womit wir wieder bei den präzisen Aufgabenstellungen wären, die da nicht kam.

Mirjam: Aber was ich…

Marco: Man kann da nur wieder feststellen: Du bist in keiner Weise dumm. Die Aufgabenstellung war nur dumm

Ella: Richtig.

Marco: So ist das.

Mirjam: Mitso vielen negativen Erlebnissen, dass die Leute immer so ohne Verständnis auf dich reagieren. Wie, wann hast du es denn geschafft, Freunde zu finden, also die Leute sozusagen auszusortieren, wo du es eh nicht hinkriegst und die zu finden, die mit dir einen gemeinsamen Nenner finden?

Ella: Das hat ein bisschen was mit meinem Sternzeichen zu tun. Und zwar ich bin ja Löwe vom Sternzeichen her und wir Löwen sind halt so, wir sind sozusagen…. gehen einen Vertrag ein. Das heißt, wenn der eine mir etwas gibt, dann gebe ich ihm auch etwas. Wenn ich ihm etwas gebe, erwarte ich, dass er mir das Gleiche zurückgibt. So passieren keine Missverständnisse. Zu dem Zeitpunkt hatte ich Freundinnen, die es nicht verstanden haben, weil ich war schon mit 13 – mit 13 oder zwölf hatte ich schon Taschengeld von 80 € oder so, lag daran, dass wir halt zu der Oberschicht gehören, gehörten, gehören? Ich weiß es gerade nicht – und ich habe halt das Geld ausgegeben für meine Freundinnen sozusagen! War dann beim Netto, habe alles geplündert, Süßigkeiten und so. Aber dann kam Weihnachten, dann heißt es so: „Ja, äh, tut mir leid, ich habe kein Geschenk für dich. Ich hab kein Geld, ich hab keine Geschenke.“ Die einzige Freundin, die dann das gemacht hatte, sie hatte mir dann zum allerersten Mal ein… etwas gekauft an Klamotten, was ich selber, von mir selber, hätte nie gekauft – weil, ich hatte immer meine Farben, Struktur, ne, ich trug drei Jahre lang blau, wirklich blau immer, immer himmelblau, weil es meine Lieblingsfarbe war. Und dann irgendwann habe ich zu Weihnachten diesen Pullover von H&M bekommen, und da stand drauf ‚Follow your heart‘. Und ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, was das bedeutet. Nur, dass auf einmal, am nächsten Schultag, wo ich den anhatte, und meine Haare mal zu einem Dutt gemacht hatte, die eine zu mir gekommen ist, die eigentlich Feind oder Freund ist – je nachdem, wie sie gelaunt, ist – sie so: „Du siehst heute wirklich sehr schön aus.“ Und dann habe ich einfach gemerkt, was Freunde sind und was nicht Freunde sind.Weil, die einzige Freundin, die ich dann zurückbehalten habe, ist dann auch nie gewesen, die dann in meiner MSA-Prüfung in der zehnte Klasse am Stuhl in der Jury sitzen durfte, weil ich’s ihr erlaubt habe.

Mirjam: War das jetzt das Mädchen, das dieses Sweatshirt ausgesucht hat mit dem Text für dich oder das Mädchen, das daraufhin dann gesagt hat: Du siehst heute voll schön aus?

Ella: Nein, das Mädchen, was mir diesen Text ausgesucht hat, ist die Freundin. Aber das Mädchen, was mir gesagt hatte, „Du siehst heute sehr schön aus“, das war tatsächlich keine Freundin. Es war einfach nur eine Klassenkameradin, die eigentlich immer das hübscheste Mädchen der Klasse war. Und sie ist halt zu mir hingegangen und hat gesagt: „Du siehst heute richtig schön aus.“

Mirjam: Das war dann sozusagen die Belohnung, die du so ein bisschen einsammeln konntest.

Ella: Ja, dass man nicht unsichtbar ist. Dass man sozusagen auch von Leuten angesprochen wird mal, mit denen man eigentlich noch nie ein Wort gewechselt hat.

Mirjam: Hast du dann…

Marco: Gesehen zu werden, ja.

Ella: Und ab da habe ich dann gesagt: Ich möchte nicht mehr nur jeden Tag Blau tragen, weil ich das halt gewohnt bin und das meine Lieblingsfarbe ist, sondern ich möchte was völlig Neues wagen. Und dann kam ich halt mit einem komplett anderen Style in die Schule, und das ist sofort aufgefallen (schmunzelt). „Sag mal, hast du heut Geburtstag oder was? Oder warum siehst du so aus?“ Ich so: „Nee, ich wollte mal ein neues Outfit, einen neuen Typ ausprobieren.“

Mirjam: Und was hat die Freundin dazu gesagt, die dir dieses Sweatshirt geschenkt hat?

Ella: Die war richtig froh, und sie hat das auch richtig schön gefunden, dass ich den getragen habe. Und dann habe ich sie halt besucht. Und ich hatte nicht gewusst, dass das sie so nah an mir wohnte. Also von daher war es eine richtige Überraschung. Aber zum Ersten Mal hatte ich dann solche Freundinnen-Treffen, wo es halt kein Drama und keinen Ärger gab. Und das ist ja das, was meine Mutter halt sich sozusagen gewünscht hat. Nicht, weil sie es mir gönnen wollte, sondern weil sie die Schnauze voll hatte von solchen Menschen. Die kam ja…, die hat ja auch immer dann gemerkt, was für Menschen-Typen das sind. Und sie hat gesagt: „Die sind kein guter Umgang!“ Ähm, naja. Ich hatte da auf einmal eine Freundin, da hatte meine Mutter nichts auszusagen, also nichts zu meckern. Und die war dann auch später bei anderen Geburtstagen mit dabei. Und sie hat auch damals gesagt: „Du hast diese MSA- Prüfung super gut gemacht. Du hast alles frei gesprochen. Diese Präsentation war der Wahnsinn. Und ich hoffe, ich werde genauso gut sein, so wie du warst.“
Ja, das war halt das, wo wir das letzte Mal halt zusammen waren. Und dann bin ich auf die andere Schule, wo dann sich alles geändert hat, wirklich alles.

Mirjam: Die gymnasiale Oberstufe.

Ella: Wie kann man das am besten…, wie kann man sich das am besten bildlich vorstellen? Ja, machen wir es mal so, und zwar: Die Ameisen haben ja alle einen Job, dass sie alle ihr Essen sammeln sollen für die Königin. Jeder für sich selber oder ein Team. Und vielleicht sind da ein paar Ameisen, die machen das, was sie wollen, die einzelnen und so, aber sie machen das halt, was von ihnen aufgetragen wurde, das die ganze Zeit. Und irgendwann haben sie gemerkt: Ja, wir brauchen die anderen nicht! Ich kann das auch alleine! Und so weiter. Und so war es dann…, ich habe gerade, ich sage gerade den Vergleich – weil, jetzt kommt das Neue.

Mirjam: Ach so, okay, Entschuldigung, da war ich abgelenkt.  

Ella: Und dann auf einmal bist du auf dieser Schule, wo dieses ganze System nicht mehr existiert, und ein neues System herrscht. Und das nennt sich, Wuähöm: Gruppenarbeit.

Marco: Oh.

Ella: Gruppendynamik.

Mirjam: (lacht)

Marco: Ja.

Mirjam: Entschuldigung, ich muss nur lachen, weil du…, weil du quasi das Wort, ähm, ausgekotzt hast, muss ich jetzt mal so sagen.

Ella: Ja, so war‘s auch. So war es auch! Damals haben wir drei verschiedene Schulen angeguckt. Ich wollt Gymnasium, also habe ich das gewählt, was ich konnte: Sprachen. Weil, zu dem Zeitpunkt der siebten Klasse hatte ich da mein fotografisches Gedächtnis entwickelt. Und dann war die Schule ein Kinderspiel. Mit Vokabeltest, Grammatik usw., habe ich gesagt: Ja, da kann‘s ja nicht so schwer sein. Nehme ich Deutsch als Leistungskurs, und dann nehme ich Englisch als Leistungskurs, und dann nehme ich noch Geschichte, weil die Zahlen merken, das wird bestimmt auch nicht so schwer. Und dann, weil ich Naturwissenschaften, aber doch nicht halt ganz aufgeben kann, weil ich es eigentlich total liebe, habe ich dann Biologie und Chemie gewählt.
Aber als dann die Klassenunterrichten begannen, habe ich direkt nen Unterschied gemerkt. Und zwar, wenn du jetzt zum Beispiel ein neues Thema in der Schule hast, daran erinnere ich mich sehr gut – jetzt in der alten Schule, jetzt Vergleich: „Ja, heute nehmen wir das Thema lineare Gleichungen durch. Kann mir jemand was dazu sagen? Bla bla und Rabarba.“ Das ist jetzt das Alte. Jetzt kommt das Neue: „Ja, guten Tag. Ich bin Dödödö Dödödö. Wir werden Sie bis zu dem zehn… bis zu dem Abitur begleiten, das ist jetzt die Einführungsphase. Das, was Sie in dieser Phase mitnehmen, ist völlig unrelevant für das Abitur. Aber, wir wollen Sie halt fit machen.“ Und dann fängt er an, auf die Tafel zu schreiben und fragt: „Was ist das? Kann mir das jemand sagen?“ Dann nimmt er immer mehr und mehr Leute dran, und dann Stück für Stück, durch Mindmapping und Brainstorming im Klassenverband wird dann das Thema sozusagen erraten, und dann wird es aufgeschrieben auf der Tafel. Und dann heißt es: „Ja und zu diesem Thema setzt ihr euch jetzt in Gruppen zusammen und arbeitet das und das heraus!“Und das war bei jedem Fach, das war bei Chemie, das war bei Biologie, das war bei Mathematik, das war bei Deutsch und das war bei Englisch. Und ich habe halt damals gesagt, ich wähle die Fächer aus – weil ich ja mein Abitur haben will – die mir am Anfang, ich weiß, am Ende keine Schwierigkeiten machen werden. Genauso wie – was war das erste Fach – Darstellendes Spiel, genau. Du musst ja eins der künstlerischen Fächer wählen.

Marco: Darf ich da kurz einhaken: Das darstellende Spiel – wie  war das für dich? Also, hast du das gerne gemacht, oder?

Ella: Traumatisch. Ich habe ein Trauma entwickelt.

Marco: Okay?

Ella: Und zwar, Darstellendes Spiel ist nichts anderes als Theaterunterricht. Und wie jedes Fach wird das immer mit einem Partner zusammen gemacht. Und ich hatte halt zu dem Zeitpunkt eine Freundin kennengelernt, die sehr komisch war, aber auch glaube ich – ich weiß nicht, ob sie Autistin war, aber sie hatte halt Ähnlichkeiten mit mir, nur dass sie wirklich hochintelligent war, ich glaub einen IQ von 144. Und wir haben uns dann immer zusammengetan, um diese scheiß Übungen zu machen. Sei es durch den Raum flattern wie ein Schmetterling, sei es gegenseitig sich spiegeln oder irgendwas.
Das lief bis zu dem Zeitpunkt gut. Dann aber irgendwann ist sie nicht mehr aufgetaucht. Und ich habe mich halt gewundert, weil, sie war sozusagen mein Fels in der Brandung in dem Moment. Und das hat mich halt krank gemacht, und ich habe halt dann versucht, selber krank zu sein. Ich habe mich dann selber mal krankgeschrieben und abgemeldet, weil ich war ja dann 18 und konnte das und habe sozusagen dann dafür gesorgt, dass dann…, dass ich dann auch gefehlt habe. Aber irgendwann kam ich dann wieder in den Unterricht, und es wurden Gruppen, also Gruppen eingeteilt usw., und ich frage den Lehrer: „Ja und wo bin ich?“ – „Ähm, ja, dich habe ich vergessen… einzuplanen.“ Das war der Todesstoß. Weil, man kann jemanden richtig, richtig kränken, der…, der halt Aufmerksamkeit liebt oder das halt nimmt.

Marco und Mirjam: Ja.

Ella: Aber, wenn du dann vergessen wirst, und du merkst auf einmal: Du bist komplett allein!  Dann kommt so eine Hilflosigkeit. Und ab da hatte ich dann, 24. Februar 2018, meine F 32.1 Depression. (applaudiert)
Ab da war dann klar, es geht nicht weiter. Ich hatte all die Jahre immer in den Pausen in Räumen drin verbracht. Das konnte ich jetzt nicht mehr. Und wenn ich dann in den Pausen war, war ich komplett allein. Ich hatte keine Aufgaben, keine Hausaufgaben, Schulaufgaben oder irgendwas, woran ich mich festklammern konnte, damit die Pausenzeit vorbei ist. Ich war komplett allein. Und dann hatte ich…, hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben kapiert, dass ich 13 Jahre lang meine Einsamkeit verdrängt habe.

Marco: Ja vielleicht auch aus dieser Anpassungsleistung heraus…

Ella: Ja.

Marco: …nicht eben zu sehr als ‚seltsam‘ gelesene Person von außen gesehen zu werden, also dann, was sich herausstellte, ADHS und Autismus. Und viele versuchen das ja zu überdecken. Wir hatten das im letzten Podcast als Thema, diese Maskierung, die ja eben einfach auch arg anstrengend ist und bis hin zu ner Erschöpfung oder – wie eben in deinem Fall dann – zu Depressionen führen kann.

Ella: Genau. (schenkt sich ein Glas Wasser ein) Und so war es halt auf der alten Schule, dass ich halt das am Ende sozusagen erst erfahren habe – an der Paula-Modersohn-Schule – dass ich diese Diagnose hab. Ich hab aber gesagt: „Ich behalte das alles für mich. Ich will auf gar keinen Fall noch weiter auffallen!“ Und ich schlucke das sozusagen runter und passe mich an, damit es nicht auffällt. Jetzt auf der neuen Schule hatte ich zwar noch meine alte Therapeutin, aber ich hatte niemanden in den Pausen. Auch nicht meine Schwester, weil die hatte ja einen ganz anderen Stundenplan, andere Pausenzeiten als ich. Und ich war halt komplett allein, und ich hatte Depressionen.
Und mein Vater und meine Mutter, die waren stinkig! Weil, die hatten halt gesehen, was die Schule mit mir gemacht hat. Dieses System. Dann sind die halt zum Direktor gegangen und haben ihm höflich – der Direktor ist halt sehr sympathisch und höflich, Grüße an Sie, Ingo Beck – und der hat halt das sofort erkannt, dass es mir nicht gut ging. Und ich bin eigentlich eine sehr gute Schülerin. Und dann hat er folgendes gemacht: Er hat mich aus dem Darstellenden Spiel rausgenommen, und ich wurde dann in den Kunstkurs getan. Und in Kunst war es ähnlich, dass ich halt gedacht habe: Ja, ich kann ja eigentlich gut zeichnen! Seitdem ich halt im Kindergarten wirklich jeden Tag nicht gespielt, sondern gemalt habe, immer dasselbe Bild, bis es perfekt war.

Mirjam: Was für ein Motiv war das?

Ella: Arielle, die Meerjungfrau. Ich lieb halt Wasser und so, und ich hab das halt sehr gemocht. Und ich hab das halt jeden Tag bis zu meiner Entlassung des Kindergartens gemacht. Und deswegen dachte ich: Ja, mit Kunst kann nichts falsch laufen. Nein! Mit Kunst lief es ähnlich. Als wir ne Ausstellung hatten und mein Bild an die Garderobe gehängt wurde, weil es vergessen wurde…

Mirjam: Oh, nein.

Ella: Hatten wir dasselbe Szenario.  Und dann hieß es Bye bye Kunst, jetzt geht’s in Musik. Und da hatte ich ein Heimspiel. Weil, meine Mutter war Sängerin, sie hatte eine eigene Band, ein eigenes Tonstudio. Und, ich weiß nicht wie ich das bis heute gemacht habe, aber ich hab mich irgendwann ans Keyboard gesetzt und irgendwas gespielt, was meine Melodie und mein Gefühl halt sozusagen wiedergespiegelt hat, und meine Mutter fand das so gut, dass sie das halt sozusagen aufgenommen hat. Und wir haben daraus nen Song gemacht. Und, Überraschung, in der Qualifikationsphase musst du in Musik deinen eigenen Song komponieren und abgeben, und der wird benotet. Ich hab 14 Punkte bekommen, 14 Punkte entsprechen einer 1.

Mirjam: Wenn ich jetzt mal an die Klischees denke, die manche Menschen so zu Autismus haben, und eins davon ist ja, erstens, Autisten haben keine Gefühle. Ist, glaube ich, das bescheuertste Klischee überhaupt. Und das zweite,  dieses: Die wollen nur für sich sein.

Ella: Ja.

Mirjam: Dass, wenn wir dir so zuhören, dann…, beides kann man wirklich in die Tonne treten…

Marco: Naja, klar, und letztlich ist diese…

Mirjam: …denn das wichtigste ist dazuzugehören, glaub ich für dich, oder? Also dieses Gefühl zu haben, dazugehören…

Ella: Ja.

Mirjam:…und von anderen anerkannt zu werden für das, was du kannst.

Marco:  Und letztlich ist diese Selbstisolation keine selbst gewählte, sondern eine von außen mehr oder weniger erzwungene, oder auch aus den Umständen heraus, aus der Angst heraus vor den überwältigenden Eindrücken und so weiter. Und dann kommt es zu du dieser Isolation, die man eben dann im Autismus eben häufig antrifft.

Mirjam: Was wäre denn dein Rat an so persönliche Umfelder, sei’s die Eltern oder auch Lehrer, Lehrerinnen oder Freunde, wie sie autistische Freunde oder Leute, die einfach mit ihnen zusammen sind eng, die im Autismus Spektrum sind, unterstützen können, dass sie sich dazugehörig fühlen?

Ella: Das können sie leider erst machen, wenn man jetzt die nächste Phase abgemacht hat. Ich hab ja am Anfang gesagt: I‘M There, ich bin da. Wir haben jetzt die I am-Phase, also I M, aber jetzt kommt die M, also, die dieses Wort ja bildet, die Me-Phase, die Reflektier-Phase. Und zwar, man geht ja durch diese kalte Phase, und dann geht man durch diese Wissens-Phase und diese Aha-Phase. Und das geht so lange gut, bis sich halt das Umfeld und die Bedingungen ändern. Weil, jeder Autist, der kann mir zustimmen: Wir sind nicht anpassungsfähig, also wir sind sehr schwer anpassungsfähig, weil wir halt Routine… und son Gewohnheitstier sind, und fühlen uns wohl in dem, was wir kennen und was wir können. Und wenn wir jetzt konfrontiert werden mit einer komplett anderen Sache, mit der wir noch nie zu tun hatten, oder komplett andere Routinen oder Abläufe oder mal eben etwas von unseren Plänen, die wir uns im Kopf selber gemacht haben, wird mal eben da zum Beispiel… Ich hab diesen Klassiker gesehen, diesen einen Dokumentations-Film: Der Eine isst seine Gummibären in einer bestimmten Reihenfolge, da meint einer, ihn zu ärgern, indem er die Reihenf…, die Farbe vor der Nase wegfuttert, bevor er die anderen essen kann. Das macht richtig, richtig viel, richtig viel Stress. Und das ist halt sehr schwer für uns, dieses abzulegen, also diese wenige Flexibilität und so weiter. Und wenn du halt zum Beispiel soweit bist, dann erkennst du auch, wie du das änderst: Indem du es ansprichst. Du hast erkannt, du hast Schwierigkeiten damit? Dann such dir jemanden, dem du das sagst. Oder hast du nen Klassensprecher? Dann sag das dem. Aber das Dümmste, was du tun kannst, ist einfach so weitermachen wie vorher und keine Hilfe suchen. Weil, es gibt die Möglichkeit. Ich hatte die Möglichkeit. Ich habe begriffen, dass ich in dieser Schule nicht die verheimliche, die Diagnose, sondern ich werde die offen dem Lehrer sagen, und der Lehrer soll halt dafür sorgen, dass es mir nicht psychisch schlecht geht. Das ist seine Aufgabe. Schule soll erziehen, und Schule soll unterrichten. Und in dem, im Erziehungsfall bin ich ja spezieller, weil ich halt ist die einzige Autistin in der Klasse bin, und dann war es – zum Thema Inklusion – mein Recht, darauf zu beharren.

Marco: Hast du dich der Klasse auch offenbart? Oder nur den Lehrern?

Ella: Erst am Ende des Schuljahres habe ich mich offenbart, der Klasse. Ich wurd dann auch mutiger und wurd dann so, wie ich heute bin. Und das war dann offiziell, war ein riesiger Ort, weil, ich hatte auf einmal Spaß, und man konnte mit mir reden. Gruppen ging zwar immer noch nicht, aber das musste ich auch irgendwann nicht mehr, weil, ich dann sozusagen die Marionetten hab tanzen lassen. Und zwar, dadurch, dass ich halt die Diagnose habe, habe ich Anspruch, durch die Schwierigkeiten, die ich habe – ich fass die jetzt mal zusammen, die Schwierigkeiten:
Und zwar, diese typischen, was du eben angesprochen hast, dieses keine Gefühle haben, dieses schlecht in der Kommunikation oder dieses mit Mimik lesen Schwierigkeiten, das sind ja die offensichtlichen. Das sind ja die offensichtlichsten, aber die, die etwas tiefer liegen, das sind die, die jedem Autisten das Leben im Alltag schwer machen. Dazu gehört, wie ich bereits genannt habe, man hat als Autist immer einen Plan, man ist vorausschauend, man plant vorausschauend. Das heißt, wenn ich jetzt zum Beispiel einen Schultag habe, dann pack ich meine Tasche und sorge dafür, dass alles geordnet ist. Wenn man halt dann zu diesem Zeitpunkt schon soweit ist, dass man gemerkt hat, dass man sich selbst ordnen muss. Und man folgt diesem Faden sozusagen, den man sich selber gemacht hat. Und wenn der klappt, dann fühlt man sich zufrieden, dann ist alles in Ordnung. Aber kommt dann was dazwischen, dann ist man richtig gestresst.
Das können Sie sich ungefähr so vorstellen, das Gefühl: Haben Sie irgendwelche Gegenstände oder so, die Sie jeden Tag bei sich tragen? Und jeden Tag bei sich haben müssen, weil sie immer da sein müssen? Jetzt stellen Sie sich mal vor, Sie haben einen Termin, und Sie müssen außer Haus, und jetzt fehlt einer dieser Gegenstände. Was macht das mit Ihnen? Ich wette mit Ihnen, Sie bleiben nicht ruhig dabei. Die meisten sind so: „Oh, Scheiße, wo hab ich das denn hingelegt? Nein! Muss das jetzt sein?“ Genau dieses Gefühl kommt dann auf, wenn eine dieser Routinen unterbrochen wird. Das ist purer Stress.
Die zweite Schwäche ist die Interpretation – das ist das, was bereits angesprochen wurde. Und zwar, wenn nicht richtig konkret, detailliert gesagt wird, was gemeint ist oder gesagt wird, dann haben wir eine falsche Interpretation. Und manche haben die Schwäche so wie ich, dass sie alles wortwörtlich nehmen, d.h. sie können nicht unterscheiden zwischen Metapher, was es genau bedeutet, Ironie, Sarkasmus schon gar nicht, Witze auch nicht. Ich mach jetzt mal einen Witz, ich geb jetzt mal einen Witz, wieder, wie ich ihn verstehe, und Sie verstehen ihn bestimmt anders. Und zwar, der Lehrer gibt der Schulklasse den Auftrag: „Bitte beschreiben Sie Ihre Wand zu Hause, also die Wand des Hauses.“ Am nächsten Tag kommen die Leute, der Lehrer in die Klasse und sammelt die Hausaufgaben ein. Überraschung: In der Klasse ist ein Autist. Und dann kommt er zu dem Autist, und der hat seine Hausaufgaben nicht. Und fragt der Lehrer: „Ja, wo sind deine Hausaufgaben?“ Er so: „Ja, zu Hause doch? Sie haben doch gesagt, wir sollen die Wand beschreiben!“ (klatscht in die Hände)

Mirjam: (lacht)

Marco Tiede: Hm hm.

Ella: Verstehn se?

Marco: Ja.

Ella: Das ist der Unterschied. Das ist der Unterschied, wenn man’s nicht klar ausdrückt. Und so war’s auch in meiner aktuellen Ausbildung, wo ich immer gesagt habe: „Können Sie bitte den Witz hinterher erklären?“ – „Aber dann ist es ja nicht mehr witzig!“ – „Ja, aber dann verstehe ich ihn wenigstens!“  So ist das nämlich.
Du hast halt erkannt, dass du das nicht kannst, du hast es angesprochen, aber wenn einer sagt, er ist stur, er macht es trotzdem nicht, dann muss er ja die Konsequenzen ziehen. Du weißt ja, du hast nichts falsch gemacht. Du hast ja diesen Zweifel nicht mehr. Du musst nur halt damit klarkommen, dass das halt dann… du musst halt damit rechnen, dass es dann so wird.

Mirjam: Ella, ich muss dir… bist du mit deinem Plan im Kopf – du hast ja dieses Modell vorgestellt, heute fertig? Ich muss mal eben transparent machen, dass das für mich hier, um diesen Podcast zu moderieren, eine ganz außergewöhnliche Situation die ganze Zeit ist, weil du ja wirklich mit so einer Struktur im Kopf ganz offensichtlich zu uns gekommen bist. Und unheimlich lehrreich dann das für uns hier transparent gemacht hast, wie du denkst und fühlst. Also eigentlich ein Riesenwunsch ist da in Erfüllung gegangen – inhaltlich ne – also das ist doch das, was uns Eltern auch andauernd im Elternkreis sagen: Einmal in den Kopf ihrer Kinder blicken zu können, grad, wenn sie noch kleine Kinder haben, wie sehen die die Welt, was ist ihnen wichtig – was brauchst du, damit du klarkommst mit uns im Alltag? Und gleichzeitig war es natürlich jetzt in dieser Situation ganz schwierig, da dazwischen zu kommen. Ein paar Sachen habe ich nicht gefragt, die ich dich eigentlich fragen wollte, aber das macht mir irgendwie gar nichts aus. Macht dir das was aus, Marco?

Marco: Nö, ich hör einfach nur gebannt zu.

Mirjam: Ich auch, mir geht das auch so. Also, hast du dein… das, was du mitgebracht hast, wie hast du es noch mal genannt: I…

Ella: I am There.

Mirjam: I am there.

Ella: Weil, wir sind ja eigentlich immer unsichtbar, und wir ziehen uns aus der Menschengruppe raus. Aber, wir wollen ja eigentlich mit dabei sein. Wir wissen nur nicht wie, und wir wissen oft auch noch nicht am Anfang, dass wir’s wollen, sondern das entwickelt sich halt langsam. Und deswegen finde ich *I am there‘ – ich bin da – finde ich halt ziemlich praktisch.

Mirjam: Was sollen die Zuhörenden da draußen noch mitnehmen, was wär dir ganz wichtig, was die Welt noch wissen muss und begreifen muss.

Ella: Mir wär ganz wichtig, dass in der letzten Phase – I am There: T, Talk – dass man reden muss. Und zwar, wenn der Autist halt erkannt hat, dass er das und das hat, dann sollen die Menschen ihm zuhören, und die sollen das nicht mit Vorurteilen verbinden, was sie scheinen zu kennen oder meinen, sie könnten das halt verstehen, wenn sie es eigentlich nicht verstehen. Weil das ist auch der Grund, weshalb zum Beispiel Autisten keine Beziehungen eingehen, die lassen niemals so jemanden richtig an sich nahe ran vom Gefühl her, weil es immer objektiv bleibt. Aber, wenn man das mal dann überwindet, diese Barriere sozusagen, dann hat man eigentlich einen richtig tollen Freund, der einen richtig unterstützen kann. Zum Beispiel, jeder Autist hat eine besondere Begabung – in meinem Fall ist das mein Gedächtnis und meine Ehrlichkeit. Das heißt aber nicht, dass ich empathisch bin. Also, ich sag mal so, wenn meine Freundin jetzt sagt, sie hat jetzt eine Präsentation vorbereitet, aber ihre Freundin sagen so: „Ja, ja ist gut, ist gut, das geht schon.“ Und sie sagt, ja, sie will gerne eine ehrliche Meinung, wendet sie sich an mich und ich frag sie: „Möchtest du jetzt die knallharte Autistin, die ehrlich ist oder möchtest du jetzt die ADHSlerin, die so ein bisschen verspielt ist?“ – Da sagt sie immer: „Ich möchte die Autistin, immer die Autistin, weil, die ist ehrlich, auf die kann man sich verlassen.“ Und dann habe ich ihr dann auch meine Meinung gesagt, meine Kritik. Weil, Kritikfähigkeit ist eine Sache, die Autisten halt im Laufe der Jahre wirklich lernen sollten! Weil, sonst sieht’s halt ein bisschen schwierig aus. Ich hab bei mir zum Beispiel in meinem Jahrgang einen Autisten, der ist schon sehr, also schon etwas älter als ich, und der nimmt jede Bewertung, jede Klitzekleinigkeit als Kritik wahr, als Angriff und versucht sozusagen eine Argumentation anzufangen – und wenn wir in etwas gut sind, dann ist es argumentieren. Aber ich kann aus eigener Erfahrung sehen, dass es nervig ist, wenn man sagt, man muss immer Recht haben. Weil, es ist eigentlich nicht so.  Man hat zwar Regeln und Strukturen, an die hält man sich eine jahrelange Zeit, weil, daran hangelt man sich runter. Und dann ist da diese Person, die versucht das so zurechtzubiegen, dass sie immer recht hat, weil sie nie gelernt hat, Kritik entgegenzunehmen.

Mirjam:Und was macht dann jemand, der Arbeitgeber ist oder Arbeitgeberin, und hat so einen autistischen neuen Mitarbeiter da vor sich sitzen?

Ella: Hm, das ist immer schwierig. Das ist eine Frage, die krieg ich auch immer, die kriegen auch viele von der Agentur für Arbeit, glaub ich, auch immer gestellt. Und zwar ist die Frage immer: „Ja, ich weiß, wenn ich da und da Schwierigkeiten habe, soll ich das jetzt im Vorstellungsgespräch erwähnen?“ Ich hab da meine eigenen Erfahrungen mit gemacht. Weil, ich wollte halt an meinen Schwächen arbeiten. Die sind, wie bereits genannt:  Flexibilität, Empathie, Tempo. Weil, wenn du Dinge falsch interpretierst, dann ratterst du im Kopf, aber dir geht die Zeit verloren und du verlierst den Anschluss, wie das genau gemeint war. Deswegen brauchen, kriegen viele Autisten, die ich kenne, so wie ich einen Nachteilsausgleich – haben wir auch einen Anspruch drauf – für Zeitverlängerung in jeder Prüfung, sei es Abiturprüfung, sei es Ausbildungs-Abschlussprüfung oder sei es MSA, du hast ein Anrecht auf einen Nachteilsausgleich. Entweder jemand, der dir das erklärt, also jemand, du darfst fragen während der Prüfung, weil, du verstehst es ja anders, oder du hast eine Zeitverlängerung. Und ich hatte halt beides. Und weil ich ja beides hatte, hab ich sozusagen den Schonwaschgang bekommen. Aber der echte Arbeitgeber gibt dir nicht den Schonwaschgang, der sagt: „Zu diesem Zeitpunkt soll das fertig sein, unsere Angestellten müssen so und so sein.“ Und wenn du das dann halt nicht bist, weil das eine deiner Hauptschwächen ist – zum Beispiel, ich hatte mich bei der KKH beworben, weil ich neben meiner Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement, wo ich mich inzwischen gelangweilt habe, Kauffrau im Gesundheitswesen anstreben wollte, weil ich immer diesen, diesen Zwang, also diesen Wunsch hatte, wieder was mit Biologie zu machen, weil es halt mein Lieblingsfach war neben Englisch. Aber ich hab dann direkt gemerkt, dass du halt sehr empathisch sein musst für diesen Beruf und auch im Vorstellungsgespräch habe ich dann das gesagt , dass das meine Schwäche ist. Natürlich kam dann die Frage: „Wie arbeitest du daran, an deiner Schwäche? Was hast du bereits getan, daran zu arbeiten? Und ja, wie siehst du das?“ Habe ich ganz klar denen gesagt: „Ich werde ein Praktikum machen in dem Bereich, um zu gucken, wie weit ich empathisch bin, ob ich das antrainieren kann und so weiter.“ Aber von deren Seite aus war es dann ein klares Nein.
Und das ist das, was ich wirklich sagen kann: Und zwar, wenn du selber dir einen Arbeitgeber suchst, der dich so nimmt, wie du bist, zeigst, der weiß, du hast das und das, und du redest transparent und offen darüber. Da musst du auch zu deiner Schwäche stehen. Und wenn es eine Hauptschwäche ist, die als Haupt… sozusagen gefordert wurde – zum Beispiel, wo ich einen Minijob hatte als einfaches Regaleinräumen, haben die jemanden gebraucht, der Anweisungen schnell und unkompliziert nimmt. Ich stattdessen habe anscheinend die Zeit nicht angehalten, war zu langsam und wurde gefeuert. Und ich hab hinterher auch gesagt: „Ich hab ein Zeitproblem. Ich hatte immer ne Zeitverlängerung.“ Hat der gesagt: „Ja hättest du‘s mir gleich gesagt, dann hättest du dir das jetzt erspart. Hätte ich gleich jemand anderen genommen.“ Deswegen, überleg dir zweimal, ob du einen Arbeitgeber haben möchtest, dem du jahrelang das verschweigst – weil es wird irgendwann sowieso rauskommen – wenn du da Schwierigkeiten hast in dem Bereich und es wird von dir halt verlangt, dann sei gleich offen und ehrlich, und dann such dir einen anderen Arbeitgeber. Weil, das macht dir weniger Schmerz und Stress.
Und das ist auch ist auch wirklich besser so. Weil, du kannst du der Zwischenzeit, mit den Erfahrungen, die du gemacht hast, halt an deinen Schwächen arbeiten. Du hast jetzt nach meinem Muster erfahren, was du bist was du kannst, wie du dahin gelangt bist, und was deine Schwächen sind. Und wenn du soweit bist, dann bist du ungefähr auf meinem Status, also auf meinem Niveau, wo ich gerade bin. Weil, ich habe dieses Jahr das große Vergnügen, meinen Abschluss zu machen und in den Arbeitsmarkt zu gehen. Und kann mir sozusagen dann erst weitere Schritte aufbauen.
Mehr habe ich jetzt auch nicht mehr dazu zu sagen.

Mirjam: Dabei wünschen wir dir viel Erfolg. Wir haben jetzt heute über Transparenz gesprochen, also mit dem Thema sind wir reingegangen, das hatten wir uns für… vorher hattest du das vorgeschlagen. Und Marco, du beim Zuhören, hat sich – also dein Modell, das du uns erklärt hast, damit hast du ja dich uns transparent gemacht, also du hast dich uns erklärt, regelrecht so: Ich bin Ella, und so funktioniere ich – hattest du dabei heute ein paar Momente, wo du gedacht hast, so habe ich das noch nicht gesehen? Oder, das ist noch ne Seite von Autismus, die ich so vorher noch gar nicht so genau begriffen hab und durch Ella jetzt neu vielleicht? Was ist dein Resümee?

Marco: Hm, an sich konnte ich ganz gut folgen. Also, diese Art kannte ich so noch nicht, das war mir tatsächlich neu, aber, ich konnte das alles gut nachvollziehen, weil es eben sehr klar und logisch strukturiert ist. Was mir noch so bisschen hängenbleibt, ist ja – jetzt hattest du dich uns transparent gemacht und ich hatte aber noch in Erinnerung, dass du im Vorgespräch gesagt hast, an sich hattest du dir auch gewünscht, dass wir uns transparent machen, wie wir eigentlich ticken.

Mirjam: Hmm.

Marco: Was natürlich dann den Rahmen vermutlich jetzt sprengen würde, aber ähm…

Mirjam: Aber an der Stelle mit der Therapeutin, als du gesagt hast, dass die deine ATZ Therapeutin dir erklärt hat, wie sie neurotypisch das sieht.

Marco: Ja.

Mirjam: An der Stelle habe ich auch gedacht, das hätte ich gerne gewusst, wie sie es geschafft hat, dir das zu vermitteln, dass es diese beiden Sichtweisen gibt. Denn das es erzählen uns viele Eltern, dass sie das Gefühl haben, sie würden ihren Kindern das so gerne vermitteln, dass sie ihm nichts Böses wollen, dass es ihnen nur darum geht, sich anzunähern.

Ella: Das ist ungefähr so ähnlich, wie ich jetzt mit meinen Beispielen gearbeitet habe. So habe ich das ja nicht gelernt. Es wird ein Beispiel genannt, und in diese Situation sollst du dich jetzt gerade hineinversetzen. Und jetzt erklärt die Therapeutin dir halt, wie du das jetzt wahrnimmst, dass du jetzt sozusagen jetzt Schmerzen oder du halt verletzt bist, aber der gegenüber das nicht merkt. Oder du hast einen Gedanken, den sprichst du aber nicht aus, sondern du erwartest von deinem gegenüber, dass er das weiß. Das ist ein typischer Fehler, der passiert überall in der Kommunikation.

Mirjam: Und den Fehler macht wer? Wer macht den Fehler eher der Mensch, der Autist ist oder der Mensch, der nicht Autist ist?

Ella: Das macht tatsächlich eher der Autist. Weil, der ist schon schnell im Denken, und wenn er jetzt eine Struktur aufhat, wie er jetzt reden möchte, dann spinnt er von Punkt A zu Punkt B und so weiter und während der Autist schon so weit ist, ist der andere noch bei Punkt A hängengeblieben.

Marco: Ich glaub, das passiert tatsächlich auf beiden Seiten. So, wie du es grad schilderst, aus der autistischen Perspektive, da du durch diese vielen Assoziationketten, die du schon hast und vorausdenkst, dann schon an einer anderen Stelle bist in Gedanken und voraussetzt, dass der andere das mitgeht, aber nicht mitgegangen ist. Weiß ich, dass es den neurotypischen, wenn sie dann solche Aufträge geben, wie „Berechnet Sie!“ und dann eine Zahlenkolonne kommt, setzen sie voraus, dass du diesen Kontext so zusammengestellt hast, aber verfehlen eben, dass da noch die Verknüpfungen hergestellt werden.

Ella: Genau!

Marco: Oder, wie du vorhin das so schön plastisch dargestellt hast, deine erste Aufgabe im ATZ, wenn ich das richtig verstanden hab: Koch dir ne Tasse Tee.

Ella: Ja, ja genau.

Marco: So, das ist erst mal ein Auftrag, der relativ klar ist. Der impliziert aber: Finde heraus, wo der Tee steht, finde heraus, wo die Tasse steht, finde heraus, heraus, wo du Wasser kriegst, finde heraus, wie du den Wasserkocher in Gang kriegst und wie du das alles zusammenbringst.

Ella: Und genau diese Schritte überspringt der Autist. Der denkt da gar nicht dran, sondern der geht einfach los.

Marco: Ja, schon, aber dann merkst du ja: Da fehlen mir nochmal ein paar Informationen.

Ella: Genau. Und dann bleibst du stehen, weil du keine Ahnung hast, was du jetzt tust.

Marco: Das ist dann diese Handlungsplanung, ne? Und das ist dann das, was dann neurotypische Menschen offenbar auch meistens überspringen, wenn sie sagen: Mach dir mal einen Tee. Und sie setzen voraus. Du weißt, wo all diese Einzelschritte vorhanden sind.

Ella: Genau.

Marco: Und in vielen Dingen, so auch dieser Witz: Beschreib deine Hauswand. Also, dieses wirklich konkret Darstellen oder wirklich mitdenken, dass auch andere Denkstrukturen da sein können. Das wird ja häufig verfehlt. Und dann wird häufig den Autist*innen mangelnde Empathie unterstellt. Weil, ich glaube, ne Empathie ist schon da, nur manchmal ist es eben schwierig, in diesen ganzen Zusammenhängen das zusammenzubringen, wieder auf einen Punkt zu bringen. Und gleichzeitig fehlt die Empathie auf der neurotypischen Seite eben auch eben für diese andere Denkstruktur. Die ja nicht verkehrt ist, sondern nur anders, ne? Und oft viel logischer als das, was wir uns so zurechtdenken. 

Ella: Vor allem jetzt – das lernt man zwar erst im Abitur – aber, es gibt so viele Kommunikationsmodelle, die helfen, transparent zu werden. D.h. wenn man jetzt, also ich hab jetzt gesagt, gezeigt, wie ich mich transparent gemacht habe – aber für die, die jetzt wissen wollen, wie man sich transparent machen kann, wenn man halt Schwierigkeiten hat mit Kommunikation: Es gibt das Eisberg-Modell, es gibt das Schulz von Thun-Modell, und das wird euch spätestens im Abitur begegnen. Und das ist das, wo ich halt dann gemerkt habe: Ja, das ist das. Das ist ganz gut. Und dann hab ich jetzt letztes Jahr das Johari-Fenster gelernt, das fand ich sehr faszinierend. Weil, das, wenn ich das früher gewusst hätte, dann hätte ich mir vieles Schweigen und Nicht-Sprechen und so sparen können. Weil, du gehst ungern hin und fragst nach Hilfe, weil, du bist eigentlich deiner Meinung, ja, das ist dir unangenehm, du weißt doch eigentlich, wie es geht, du verstehst nur nicht gerade, genau wie es geht, und willst eigentlich selber draufkommen, aber du traust dich halt nicht, nachzufragen. Das ist immer das Typische, mit dem man sozusagen am Kämpfen ist. Und durch das Johari-Fenster hätte man das halt umgehen können.

Mirjam: Das hattest du mir auch damals schon, als wir uns kennen gelernt haben, hattest du mir das erzählt. Ich hatte das noch nie gehört und hab das in Vorbereitung auf die Sendung, haben wir beide uns dazu ein kurzes Video im Internet angeguckt. Wirklich sehr gut und kurz und schön grafisch dargestellt, kann man empfehlen. Einfach Johari-Fenster eingeben.

Marco: Und nochmal in die Shownotes gehen.

Mirjam: In die Shownotes gehen.

Marco: Ja, das muss man dann vielleicht nochmal gezielt nachlesen, weil, das würde jetzt vielleicht den Rahmen sprengen, das jetzt hier nochmal auszuweiten.

Ella: Am meisten wird das Eisberg-Modell von Autisten bevorzugt.

Marco: Ja?

Ella: Weil, wir sind halt die Fläche, die im Wasser ist und nicht drüber redet. Und die, die halt auf der Oberoberfläche sind, sind so halt die nicht autistischen Menschen. Und die gehen dann halt dann davon aus, dass sozusagen die wissen, was mit uns los ist, und so weiter. Zum Beispiel, die Menschen, die nicht wissen, dass wir selber Autisten sind, und die behandeln dich halt gleich so. Aber bei mir ist es ja so, wenn du mich jetzt gleichbehandelst wie jeder andere auch, dann werden Missverständnisse passieren.

Marco: Absolut, ja.

Ella: Und wenn ich dann sozusagen nicht meine – wie sage ich das jetzt mal – nicht hochschmelze zur Oberfläche, weil ich ja unter Wasser bin, dann wird die Oberfläche das nie sehen. Die wird nie kapieren, dass du mich dann so behandeln musst, weil, sonst bleibe ich halt im Wasser. Und wenn du den Eisberg anguckst, dann siehst du nur die Oberfläche aber nicht, was darunter ist. Der Eisberg ist ja in Wirklichkeit viel größer, wir sehen ja immer nur das Obere.

Marco: Absolut, ja. Und das ist ja auch wieder das Nicht-Verstehen der anderen Strukturierung, der neurologischen, der Denkstrukturen, und das fehlt eben. Also, dass neben der Eisspitze, die man an der Oberfläche sieht, noch allerhand da drunter ist. Und das zu verstehen. Und letztlich – das fand ich so schön an deinem Modell, dass du sagst, das ‚There‘ fängt ja an mit dem ‚Talk‘ an. Und beim Sprechen gehört eben dieses Zuhören so sehr dazu, weil das Zuhören erst ermöglicht, überhaupt zu verstehen. Weil, wenn ich nicht verstehe, brauche ich nicht mit irgendwelchen Lösungen oder sonst was um die Ecke kommen, sondern

Ella: (applaudiert)

Marco: Erst mal, will ich verstehen können.

Ella: Ja, da fällt mir das Beispiel ein – wie ging das: „Ja, Schatz, ich möchte, dass du mir Blumen schickst!“ Kommt der Mann, gibt die Blumen: „Ja, ich möchte die Blumen nicht, nur weil ich dir das gesagt habe. Du sollst selber draufkommen, dass du mir Blumen schicken sollst!“ Und der Mann so: „Also, willst du jetzt die Blumen, oder nicht?“

Marco: Hm.

Ella: Das ist ungefähr so gleichgesetzt, würde ich jetzt mal sagen.

Marco: Ja, hat ne Ähnlichkeit, weil’s plötzlich nochmal so ne Bedingung voraussetzt, die dann noch nicht mitbenannt wurde.

Ella: Aber ne gute Übung für jeden Autisten: Die Appellebene von Schulz von Thun, dem Vier-Ohren-Modell. Weil, der Appell wird nicht ausgesprochen, du musst halt selber den Appell bilden, der wird sozusagen unbewusst gemacht. Das heißt, wenn ich jetzt sage, ich hätte gerne eine Suppe – also, der Autist analysiert ‚hätte‘ gerne, okay, also er will sie jetzt eigentlich…

Marco: Muss sie auch nicht, ne, weil, ist konjunktivisch.

Ella: Aber, auf der Appell-Ebene: Sie will eine Suppe. Sie will eine Suppe.

Marco: Ja, aber auf der Selbstkundgabe ist noch sehr viel Unsicherheit.

Ella: Das ist die einzige Ebene, die ich bisher nicht schaffe: Ich schaffe die Sachebene, mit der bin ich halt großgeworden, wegen objektiv eher. Dann aber die Beziehungsebene, und das ist die, auf die ich nur sehr selten komme, da muss ich schon wirklich sehr, sehr stark das Verständnis haben, von meinem Gegenüber, mich in ihn hineinversetzen zu können, sonst bleibe ich immer auf der Sachebene, auch, wenn ich mit meiner Zwillingsschwester Zeit verbringe, bin ich auch immer auf der Sachebene, sag ich ihr auch immer wieder. „Und, was fühlst? Also du fühlst jetzt nichts?“ – „Ja, genau. Ich fühl jetzt nichts.“ Und dann die Appellebene. Die ist die einzige sozusagen, so als Übung, wird dir ja nicht gesagt, du musst das halt selber hineininterpretieren, das kann ich empfehlen. Wenn du die beherrscht, dann wird das Leben einfacher! 

Mirjam: Auf der Messe damals, wo es echt trubelig zuging, wie das immer so ist, da hast du zu mir gesagt, relativ zum Ende unseres Gesprächs: „Wie fühlst du dich jetzt? So als Mensch der nicht im Spektrum ist?“ Und du meintest zu mir: „Ich fühl mich wie eine Grille am Abend.“  

Ella: Äh, nicht im Spektrum – wer hat jetzt wen gefragt?

Mirjam: Du hast das zu mir gesagt, oder ich hab dich, weil es so laut war, falsch verstanden.

Marco: Weil, wenn du sagst, wie fühlst du dich denn als Mensch, der nicht im Spektrum ist, hat sie dich ja gefragt.

Mirjam: Ja, du hast du hast mich gefragt. Du hast mich gefragt: „Mich würde mal interessieren, wie du dich als nichtautistischer Mensch jetzt hier fühlst.“

Marco: Und was hast du geantwortet?

Mirjam: Ich fühl mich wohl, weil ich mich total auf das Gespräch mit dir konzentriert habe und das so spannend war. Und du hast dann, meine ich, gesagt: „Ich fühle mich gerade wie ne Grille am Abend.“

Ella: Ja, das ist diese Metapher. Dass, wenn es so still ist, und die Grille halt so… Ja, das kann man eigentlich gar nicht – ich glaub, wenn man jetzt SpongeBob kennt, dann kann man das verstehen, was ich meine. Sozusagen, dass alles ist besprochen, es ist jetzt still, und die Grille halt so, also, kein Lachen und so weiter, einfach nur so: die Grille. Es ist so leise, dass man jetzt nur die Grille hört.

Marco: Also, die Grille in ihrem Sosein, einfach da ist, und…

Ella: Nee, nee, einfach dafür, dass es jetzt still ist.

Marco: Ja. Hmm. Okay. Weil alles gesagt ist.

Ella: Genau.

Mirjam: Alles gesagt, auch bei uns. Dann spiele ich jetzt keine Grillen ein. Das wäre zu viel. Und wir genießen einfach den Moment, dass alles gesagt ist. Wir hoffen, ihr hattet genau wie wir beim Zuhören viele Aha-Erlebnisse, die ja immer besonders eindrücklich sind, und hoffentlich allen im Gedächtnis bleiben.
Wenn ihr diese Folge gerne gehört habt, und noch andere hören wollt, dann abonniert doch unseren Podcast. Folgt uns auf unserer Seite spektrakulaer.de oder auf Instagram – Instagram, ich sag immer ‚Instagramm‘, ist ja auch egal, ‚Instagramm‘ klingt irgendwie netter.

Marco: Die meisten sagen nur ‚Insta‘.

Mirjam: Insta! Folgt uns auf Insta @spektrakulaer…

Marco: Oder ist das schon cringe, wenn wir das so sagen?

Mirjam: Wir sind dafür zu alt! (lacht) Also auf Instagram @spektakulaer_Podcast, und bei beiden, bei der Homepage und bei dem Instagram-Kanal wird es immer mit ‚ae‘ geschrieben – ja, in Deutschland gibt’s die beiden Pünktchen drüber, aber wir wollen ja international sein. Wir wollen ja, dass man uns weiter auch in Ägypten, Argentinien und auf der ganzen Welt hört! Und falls ihr uns schreiben wollt, könnt ihr das auch machen. Wir haben eine E-Mail-Adresse: hallo@spektakulaer.de, und da auch wieder ‚ae‘.
Vielen Dank fürs Zuhören. Hat mir sehr viel Spaß gemacht mit euch beiden auch! Danke für heute.

Marco: Danke auch.

Ella: Ja, war doch emotionaler als gedacht. (schmunzelt)

Mirjam: (lacht) Tschüss!

Ella: Tschüss!

Marco: Tschüss!

Outro

Musik: (Joss Peach: Cherry On The Cake, lizensiert durch sonoton.music)

Sprecher: Das war Spektakulär – Eltern erkunden Autismus

Mirjam: Unsere Kontaktdaten und alle Infos zu unseren Folgen findest du in den Shownotes auf unserer Seite spektrakulaer.de.

Sprecher: Der Podcast aus dem Martinsclub Club Bremen.

Musik-Ende

Sprecher: Gefördert durch die Aktion Mensch

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