„Manche Wörter schmecken gut, andere scheußlich“
mit Pia Kollbach, Studentin der Kulturwissenschaften und nonverbale Autistin
Erscheinungstermin: 24.10.2025, Autorin: Mirjam Rosentreter
In unserem Podcast reden wir über Dinge, die vielleicht bei euch etwas anstoßen. Bitte beachtet:
Unsere Gespräche geben persönliche Erfahrungen wieder und erfüllen keinen wissenschaftlichen Anspruch. Das Hören oder Lesen unseres Podcasts ersetzt keinen Besuch in einer Praxis oder Beratungsstelle. Fühlt euch ermutigt, offen auf Menschen in eurem Umfeld zuzugehen. Oder sprecht Fachleute in eurer Nähe an.
Rückmeldungen könnt ihr über hallo@spektrakulaer.de an uns richten. Oder ihr kontaktiert uns auf unserem Instagram-Kanal @spektrakulaer_podcast. Gerne versuchen wir auf Themen einzugehen, die Euch interessieren. Persönliche Fragen zu Diagnostik oder Therapie können wir leider nicht beantworten.
Im folgenden Abschnitt haben wir für euch unsere Sprachaufnahme transkribiert, also verschriftlicht. Als Text aufgeschrieben ist gesprochene Sprache nicht immer ganz korrekt und eindeutig verständlich. Das Manuskript entspricht auch nicht einem journalistisch überarbeiteten Interview.
Dieser Podcast ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt.
Wenn ihr uns oder unsere Gäste irgendwo zitieren wollt, bleibt fair: Achtet auf den Gesamtzusammenhang und denkt bitte immer an die Quellenangabe.
Im Zweifel gilt die schöne alte Regel: Lieber einmal mehr nachfragen.
Vielen Dank für eure Neugier und euer Verständnis.
Mirjam & Marco
…
erschienen am 28.10.2025, Kurzpod als Vorschau zur Sonderfolge 21, mit Pia Kollbach, ihren Eltern Brigitta und Georg Kollbach, den Hosts Mirjam Rosentreter und Marco Tiede und anderen Stimmen
Autorin: Mirjam Rosentreter
Der Text wurde behutsam redaktionell überarbeitet. Ziel ist es, das spontane Gespräch möglichst natürlich wiederzugeben. Deshalb dürfen sprachliche Ungenauigkeiten bleiben. Damit sich der Text leichter lesen lässt, ist die Zeichensetzung angepasst. Sie berücksichtigt die Sinneinheiten und Pausen, wie sie im Mündlichen typisch sind. Das heißt: Statt langer Bandwurmsätze gibt es öfter mal einen Punkt. Oder auch drei, wenn jemand kurz nachdenkt oder nach den richtigen Worten sucht. Dann kann ein angefangener Satz auch mal einfach ab…
Und nun, viel Freude beim Lesen.
…
Transkript
Mirjam Rosentreter: Diesmal kommt unser Kurzpod zwischendurch – als Teaser für unsere erste Sonderfolge. In voller Länge werden wir sie am 18. November 25 ausstrahlen. Also zu unserem üblichen Termin am dritten Dienstag.
In unseren Sonderfolgen tauchen wir tief in den Alltag ein und besuchen Menschen in ihrer gewohnten Umgebung. Wir zeichnen dabei wie in dieser Folge auch mal ein Gespräch beim Spazierengehen auf. Oder am Wohnzimmertisch. Dazu holen wir Stimmen von Angehörigen und Fachleuten ein. Sie reflektieren mit uns über unsere Erlebnisse und Gespräche.
Die lange Version zu dieser Folge wird vielfältige Perspektiven auf die Geschichte von Pia Kollbach bringen. Einer nichtsprechenden Autistin aus Leverkusen, die mit Hilfe von gestützter Kommunikation schreiben gelernt hat. Und auch neue Erkenntnisse zu diesem vieldiskutierten Thema.
Intro
Musik: Joss Peach: Cherry On The Cake, lizensiert durch sonoton.music
Mirjam Rosentreter: Wenn ihr Kurzpod Spektrakulär anklickt, hört ihr immer die Zusammenfassung einer Gesprächsfolge.
Sprecher: Spektrakulär – Eltern erkunden Autismus.
Mirjam Rosentreter: Hallo, mein Name ist Mirjam Rosentreter. Ich bin Journalistin, Mutter eines Sohnes im Autismus-Spektrum. Und ich mache das hier nicht alleine: Bei mir ist Marco Tiede.
Marco Tiede: Ich bin auch Vater eines Jungen im Spektrum. Und ich arbeite als Therapeut und auch als Berater.
Sprecherin: Heute mit Pia Kollbach, nonverbale Autistin und Studentin.
Atmo-O-Töne
(Ankunft am Haus der Autorin)
Mirjam Rosentreter: Hallo. Hallo.
Georg Kollbach: Tach! (schmunzelt)
Mirjam Rosentreter: Hallo, Pia!
Georg Kollbach: (schmunzelt)
Brigitta Kollbach: Nochmal Schnuppern?
Pia Kollbach: (leise summend) Mmh. Mmh.
O-Ton Studio
(Moderation der beiden Hosts)
Mirjam Rosentreter: Hallo und herzlich Willkommen.
Marco Tiede: Ja hallo, moin.
Es ist nämlich so ´ne kleine Pioniergeschichte, die wir da machen. Zumindest für Pia war es eine absolute Premiere. Denn sie war noch nie in einem Podcast zu Gast.
Atmo-O-Ton
(Ankunft im Studio)
Mirjam Rosentreter: Das ist der Raum.
Georg und Brigitta Kollbach: Ja!
Mirjam Rosentreter: Ich habe hier dunkel gelassen.
Pia Kollbach: Hmmmh.
Mirjam Rosentreter: Weil vorhin die Sonne so grelle rein schien. Da rechts, wo das Studio ist. Okay.
O-Ton Studio
(Moderation der beiden Hosts)
Mirjam Rosentreter: Ich bin auf Pia aufmerksam geworden durch ein sehr schönes Porträt von ihr. In der Zeitschrift Chrismon, die alle paar Monate mal der Süddeutschen Zeitung beiliegt. Das hatte ich schon gelesen, als unser Podcast noch gar nicht geboren war.
Und habe mich dann an sie erinnert. Den ersten Kontakt, den habe ich dann angebahnt mit ´ner E-Mail an Pia. Und sie hat geantwortet. Und war ganz begeistert und hat sich sehr gefreut. Und nach einem regen Austausch hin und her haben wir sie dann hier in Bremen getroffen. Da war die Familie hier im Norden im Urlaub. Und dann kamen sie eines Tages auch mit ihrem Tandem zu uns in die Bremer Neustadt geradelt.
Marco Tiede: Hmmh.
Atmo-O-Ton
(Einrichten des Studio-Sitzplatzes)
Brigitta Kollbach: Ich glaub, Pia, du darfst in den Chefsessel da. Warte mal.
O-Ton Studio
(Moderation der beiden Hosts)
Mirjam Rosentreter: Und was wir auch noch nicht erzählt haben, ist, dass Pia Abitur gemacht hat und Kulturwissenschaften studiert.
Marco Tiede: War das nicht medizinische Ethik?
Mirjam Rosentreter: Nee, Kulturwissenschaften.
Marco Tiede: Kulturwissenschaften.
Mirjam Rosentreter: Und sie will sich auf Medizinethik spezialisieren.
Marco Tiede: Ach so.
Atmo-O-Ton
(Einrichten des Studio-Sitzplatzes)
Brigitta Kollbach: Guck mal.Magst du dich da hinsetzen?
O-Ton Studio
(Moderation der beiden Hosts)
Mirjam Rosentreter: Pia kommuniziert nicht verbal.
Atmo-O-Ton
(Einrichten des Studio-Sitzplatzes)
Brigitta Kollbach: Und das ist eine super Sitzsituation für uns beide.
Mirjam Rosentreter: Sie kommuniziert mit Unterstützung durch eine Stützerin, Die meistens ihre Mutter ist. Mittels eines Sprachausgabegerätes. Das nennt man Talker.
Marco Tiede: Während ja Pia Buchstaben, Zeichen gedrückt hat.
Mirjam Rosentreter: Ja. Die Aufzeichnungen unserer Podcast-Gespräche mit Ihnen fanden in zwei Etappen statt.
Atmo-O-Ton
(Beginn Podcast-Gespräch 1 mit Pia Kollbach)
(Pia summt und tippt)
Mirjam Rosentreter: Jetzt lass ich dich erst mal ankommen.
O-Ton Studio
(Moderation der beiden Hosts)
Mirjam Rosentreter: Teil 1 hier aufgenommen in meinem Studio. Der zweite Teil am Wohnzimmertisch von Familie Kollbach in Leverkusen. Und das fing damit an, dass wir uns hingesetzt haben. Pia zog sich die Tastatur heran und hat als erstes getippt und hat gesagt: „Hallo Mirjam!“ (schmunzelnd) Und dann ging es los! Ohne große, ohne großen Einstieg.
Marco Tiede: Naja, klar: kein, kein Smalltalk, kein Floskelkram.
Atmo-O-Ton: (Pia tippt)
Mirjam Rosentreter: Direkt rein in die Materie Podcast.
Atmo-O-Ton: (Pia tippt)
Pia Kollbach / Talker-Stimme Anna: Hallo Mirjam. Hallo Marco. Toll hier zu sein. Bin ein bisschen aufgeregt.
Mirjam Rosentreter: Ich auch.
O-Ton Studio
(Moderation der beiden Hosts)
Mirjam Rosentreter: Und deswegen hatte ich in der Situation gar nicht Zeit, euch zu erzählen, ähm, dass Pia Studentin ist im Fernstudium. Lebt in Leverkusen und hat dort mit 23 Jahren Abitur gemacht. Mit Hilfe ihrer Mutter und von Studienassistenzen, die sie begleitet haben. In zwei Etappen die Prüfungen abgelegt, ein 1.0er-Abi hingelegt. Ja. Und die Wohnung, die Kollbachs für Pia etwas weiter vom Elternhaus eingerichtet hatten, in der Pia eigentlich gerne alleine mit Assistenz wohnen möchte. Klappt mehr recht als schlecht (leider falsch herum – Anm. der Autorin). Und meistens lebt Pia eben noch zu Hause.
Marco Tiede: In der Familie.
Atmo-O-Ton
(Spaziergang in Leverkusen-Opladen)
(zügige Schritte auf Waldweg)
Brigitta Kollbach: Pia geht so um halb neun, neun ins Bett und ansonsten ist das permanent. Ein Permanenteinsatz, ne?
Pia Kollbach: Hmmh.
(Schritte)
Brigitta Kollbach: Jetzt waren drei Wochen lang beide Begleiterinnen krank.
Pia Kollbach: Hmmh.
Brigitta Kollbach: Das heißt, es war dann keine freie Minute irgendwo. Und für Pia auch ein blöder Zustand, ne?
Mirjam Rosentreter: Ja. Das hattest du mir geschrieben.
Brigitta Kollbach: Weil es dann nicht unabhängig von Muttern mal…
Pia Kollbach: Hmmh.
Brigitta Kollbach: In die Wohnung geht. Genau.
Pia Kollbach: Hmmh.
O-Ton Studio
(Moderation der beiden Hosts)
Mirjam Rosentreter: Auf jeden Fall wollen wir diese Folge nutzen, um eine sehr wichtige Facette des Autismus-Spektrums auch einmal zu erfahren.
Atmo-O-Ton
(Podcast-Gespräch 1 mit Pia Kollbach)
(Pia tippt und summt dabei, schmatzt ab und zu)
Pia Kollbach / Talker-Stimme Anna: Ich denke, ich kann vielleicht helfen, mehr Aufmerksamkeit auf Menschen zu lenken, die ohne Verbalsprache aus k.o.men müssen und trotzdem viel zu sagen haben.
Mirjam Rosentreter: Die ohne verbale Sprache auskommen müssen und trotzdem viel zu sagen haben.
Brigitta Kollbach: Pia hat ja schon viele Lesungen gemacht, die aber immer nur einen begrenzten Kreis von Zuschauern, Zuhörern erreicht haben. Und ´son Podcast ist ja schon doch mit einer größeren, äh ja, Reichweite verbunden.
Pia Kollbach: (atmet laut schnell ein und aus)
Brigitta Kollbach: Und dass Pia sich das wagt, das zu tun. In einem Podcast, wo ja eigentlich gesprochene Sprache notwendig ist. Ja, finde ich bewundernswert. Dass Pia sich darauf einlässt.
Mirjam Rosentreter: Kannst du ganz kurz schildern, weil man das ja nicht sehen kann, was du mit deiner Hand machst. Die hat so eine bestimmte Haltung, deine Hand.
Brigitta Kollbach: Ja, ich gebe ihr die Möglichkeit, meine Hand festzuhalten. Ich halte sie nicht fest, ich gebe ihr nur die zwei oder drei Finger.
Mirjam Rosentreter: Mit Ihrem Ringfinger, Mittelfinger, hält sie deine mittleren Finger fest. Ja.
Brigitta Kollbach: Damit hat sie die Sicherheit. Dass jemand bei ihr ist. Und sie strukturiert schreiben kann. Ich gebe dann ab und an mal einen Impuls in die Hand. Wenn es nicht weiter geht. Wenn die Pause zu lange ist.
(Pia tippt)
Ab und an sage ich dann auch mal: Und weiter. Manchmal bedeutet Pia auch eine Pause. Jetzt möchte sie gerade schreiben…
Mirjam Rosentreter: Ja dann!
Brigitta Kollbach: …und ist ganz aufgeregt.
Mirjam Rosentreter: Pia, sag, was du sagen willst.
(Pia schreibt)
Pia Kollbach / Talker-Stimme Anna: M.a gibt mir Sicherheit mit ihrer Hand. Die Hand liegt in entspannten Situationen auf meiner linken Schulter.
(Brigitta zieht ihre Hand zurück und legt ihren Arm hinter Pias Schulterblatt)
Brigitta Kollbach: So, liegt normalerweise die Hand auf der linken Schulter. Und Pia schreibt mit dem rechten Zeigefinger. Das heißt, ich kann dann gar nicht mehr beeinflussen. Falls das ein Kritikpunkt wäre. Dass ich Pia beeinflusse. Was sie schreibt.
Moderation der beiden Hosts
Mirjam Rosentreter: Jetzt machen wir dieses Vorgespräch auch, weil uns vollkommen bewusst ist. Es steht in der S3-Linie zum Umgang oder zur Therapie von Menschen im Spektrum: Diese Form der unterstützten Kommunikation, die sich gestützte Kommunikation nennt. Es gibt auch einen englischsprachigen Begriff dazu Dazu Facilitate.
Marco Tiede: Faciliated (falsch ausgesprochen – Anm. der Autorin)
Mirjam Rosentreter: Faciliated Communication.
Marco Tiede: Faciliated Communication, FC.
Mirjam Rosentreter: FC.
Marco Tiede: Abgekürzt, ja.
Mirjam Rosentreter: Das wird von vielen Verbänden, von Behindertenvertretungsverbänden, von Sprachtherapeutinnen und Sprachtherapeuten, vor allen Dingen in den USA heiß diskutiert und manchmal auch vehement abgelehnt.
Marco Tiede: Und dann eben bis hin zu diesen Mutmaßungen, wo es dann heißt: Es könnten aber auch Projektionen der Stützer sein. Die dann sagen: Ich stelle mir gerade vor, die Person möchte das jetzt ausdrücken. Und tut das dann. Und dann in einer Sprache, die man den Personen gar nicht unterstellen würde. Ne, weil ja eben immer nicht klar ist: Nonverbalität ist ja nicht unbedingt kognitive Beeinträchtigung.
Mirjam Rosentreter: Ich habe mich für diese Folge ziemlich tief in die Recherche gekniet. Und habe kaum Studien gefunden aus den letzten Jahren, die sich noch mal damit beschäftigen. Und deswegen erwarten euch in dieser Folge auch ein paar Statements, die ich und die Marco in der Community gesammelt haben, also unter Forschenden.
Eingefügtes Statement
Imke Heuer: Es gibttatsächlich eben auch Situationen, wo auch bewiesen werden konnte, dass es die Perspektive der schützenden Person war. Aber ich glaube, dass das tatsächlich durch diese Settings auch kommt. Und ich glaube nicht, dass es da jemals einen finalen Beweis in die eine oder die andere Richtung geben wird. Ich halte das auch für ein Spektrum. Und kontextabhängig auch, wie gut es funktioniert oder eben auch nicht.
Mirjam Rosentreter: Wir habenImke Heuer noch mal zu uns ins Studio gebeten und dazu mit ihr ein kleines Interview aufgenommen.
Imke Heuer: Ich bin spätdiagnostizierter Autistin. Ich bin bei Autsocial e.V. und Aspies.e.V. aktiv. Also in der Selbstvertretung. Und in der AG Partizipative und Kollaborative Forschung am UKE in Hamburg.
Mirjam Rosentreter: Und ich habe mich ausgetauscht mit André-Frank Zimpel, dem Neurodiversitätsforscher aus Hamburg.
André Frank Zimpel: Spontan kann ich Ihnen sagen, dass die gestützte Kommunikation zu Recht umstritten ist. Weil sie eben offen ist für Manipulationen. Aber ich sehe oft gar keine Alternative. Das heißt: Es gibt Menschen, für die gibt es keine Alternative. Solange es eine Alternative für gestützte Kommunikation gibt, sollte man selbstverständlich immer auf diese Alternative zurückgreifen.
Podcast-Gesprächs-Ausschnitt
Pia Kollbach / Talker-Stimme Anna: M.a. macht das schon lang.
Brigitta Kollbach: Genau. Pia hat angefangen mit neun Jahren. Gestützt zu schreiben, mit dieser Methode. Und dementsprechend mache ich das schon 21 Jahre. Ja, ne, wir sind ein eingespieltes Team.
Statement
Imke Heuer: Je ruhiger die Situation ist, desto besser funktioniert es natürlich. Und das ist glaube ich so, dass das tatsächlich auch autistische Menschen teilweise besser nachvollziehen können. Auch die keine verbalen Probleme haben. Oder keine Probleme haben, sich sprachlich auszudrücken. Ich glaube, es wird unterschätzt, dass das eine motorische Thematik sein kann. Und autistische Menschen haben oft auch Schwierigkeiten, mit der Propriozeption. Also, ihren Körper richtig zu spüren. Und da kann das Stützen von einer vertrauten Person tatsächlich helfen, den eigenen Körper besser zu spüren. Und für die Bewegung der Hand eine bessere Kontrolle zu haben.
Podcast-Gesprächs-Ausschnitt
Pia Kollbach / Talker-Stimme Anna: Genau manchmal versucht sie ihre Hand nur auf den unteren Rücken zu legen. Das k.o.stet unglaublich viel K.o.nzentration. Auf diese Weise zu schreiben dauert für eine DIN A4 Seite eine Stunde. Wenn ich weiß, was ich schreiben bzw. sagen will. Viele Menschen haben keine Geduld für diese Methode. Es ist für mich aber die Methode zur K.O.munikation.
Brigitta Kollbach: Dieses Gerät spricht leider nicht immer das aus, was man ihm eingibt. Ich weiß nicht, warum es diese K.o.munikation jetzt ausspricht. Da hatte ich schon mal Schwierigkeiten mit.
Mirjam Rosentreter: Wie genau habt ihr das denn herausgefunden, dass Pia so kommunizieren kann?
Georg Kollbach: Es war so, dass Brigitta zu einem Gespräch in die Klasse der Förderschule, auf der Pia damals war, gekommen ist. Und die damalige Klassenlehrerin dann sagte: Wir möchten gerne was zeigen. Und dann saß Pia eben vor der Tastatur und hat Hallo Mama geschrieben.
Und das war ein Aha-Erlebnis der besonderen Art. Und ich erinnere mich an einen Urlaub in Holland, nachdem wir auch schon eine Schulung gemacht hatten in der unterstützten Kommunikation. Dann eben auch mit Pia schreiben konnten. Wie die beiden dann eben da auf der Terrasse saßen. Und Pia geschrieben hat. Und wir nur fasziniert dann nachher gelesen haben, was Pia alles uns mitzuteilen hatte. Und der entscheidende Satz war dann eigentlich: Es war, als hätte ich neun Jahre lang ein Pflaster auf dem Mund gehabt. Im übertragenen Sinne.
Sie konnte sich nicht äußern. Und hatte aber so viel an Gedanken im Kopf. Und hat uns dann schnell erklärt, dass sie sich Lesen selbst beigebracht hat. Weil, es lag ja überall was rum. Zeitungen, Tageszeitungen, Magazine, irgendwas. Und Rechnen wäre ja nur logisches Denken. Das konnte sie eben auch.
Moderation der beiden Hosts
Mirjam Rosentreter: Mit Ludo van der Kerkhove, einem Autismus-Coach, Referenten, der in ganz Europa unterwegs ist und Fortbildungen gibt und der auch mit Pia Kollbach gearbeitet hat. Mit dem habe ich mich auch nochmal ausgetauscht. Das werdet ihr in dieser Folge auch hören.
Ausschnitt aus Interview
Mirjam Rosentreter: Sie haben in der Mail geschrieben: Mal abgesehen davon, dass auch für mich FC, also gestützte Kommunikation, Facilitated Communication, nur noch absolut ein Randthema ist, bin ich aber dennoch bereit mitzuwirken. Wie genau haben Sie das gemeint mit dem Randthema?
Ludo Vande Kerckhove: Es ist ein Thema, was in den 90ern sehr präsent war. Ich habe damit noch sehr viel gearbeitet bis 2010, 15. Und aufgrund verschiedener Erfahrungen, die ich darin gemacht habe, habe ich irgendwann entschieden: Das promote ich nicht mehr. Daran arbeite ich eigentlich auch nicht mehr, grundsätzlich. Es sei denn: unter ganz bestimmten guten Bedingungen.
Mirjam Rosentreter: Und warum waren Sie trotzdem bereit, jetzt bei diesem Gespräch über Pia Kollbach mitzumachen?
Ludo Vande Kerckhove: Weil die Familie Kollbach eine der wenigen Fälle, jetzt Familien, ist, mit denen ich wirklich erfahren durfte, dass sie die Dinge, die kritisch zu sehen waren, bereit zu sehen waren. Das ist einer meiner Kernsätze in meinen ganzen Arbeiten: Was ich nicht sehe oder nicht sehen will, werde ich auch nie ändern. Und das ist ein so dominantes Thema in dieser Welt von Gestützte Kommunikation.
Sie hat Fähigkeiten. Die sie tatsächlich, sagen wir mal Stand Anfang 90, Anfang 2000, wahrscheinlich über andere Wege nicht hätte anzapfen können. Nicht hätte entfalten können. Das sehe ich so. Und ich bin nach wie vor fasziniert von ihrer Art zu dichten. Und es gibt jetzt nicht so viele Menschen, für die ich meine Hand ins Feuer lege. Die produziert schon selbst, Pia, ja! Ja, das heißt auch nicht immer und alles und nur. Aber sie ist in der Lage, es zu tun, sagen wir mal so.
Ausschnitt Podcast-Gespräch 1
Mirjam Rosentreter: Dazu hast du ja auch einen Text geschrieben, Pia. Den können wir auch mit in den Podcast nehmen, den fand ich sehr gut.
Georg Kollbach: (liest aus Pias Text vor)Hallo, ich bin dein Talker. Unglaubliche Ungeduld meiner Mitmenschen lähmt langsames Bemühen um Kommunikation. Entweder reden sie mit meinen Begleitern. Und reden über mich statt mit mir.
Wie jeder andere benutze auch ich angemessene Anglizismen. Ich habe Abitur und studiere. Weiß, wie Wörter in fremder Sprache wirklich wiedergegeben werden. Die Geräte an sich haben schon die englische Bezeichnung Talker. Blamabel blöd nur, wenn das Gerät spricht: Hallo, ich bin dein Talker (talk wie kalk – Anm. der Autorin). Bin aber auch arg anspruchsvoll! Dies wurde mir verschiedentlich übermittelt. Ich solle froh sein um ein Kommunikationsgerät dieser Qualität. Doch eines will mir einfach nicht einleuchten: Ingenieure entwickeln hochkomplexe und hochkomplizierte Geräte. Jedoch die Verknüpfung von Phonemen unterschiedlicher Sprache soll nicht gelingen?
Pia Kollbach / Talker-Stimme Anna: Genau so ist’s.
(gemeinsames Lachen)
Ausschnitt aus Interview
Mirjam Rosentreter: Was erfahren Sie durch die Texte über die besondere Denkweise von Pia?
Ludo Vande Kerckhove: Ich kenne nicht ganz so viele fließend freie Texte von ihr. Ich kenne vor allem ihre Gedichte. Ich kenne einzelne Sätze fließend frei. Ich bin fasziniert von ihrer Art zu dichten. Also das eine ist die Kunst. Das zu bringen, ist schon ein faszinierendes Dichten. Und es ist aber auch ein sehr klares Muster. Was einem sehr hilft bei der Prägung. Nun musst du dich zwar auf einen Reim konzentrieren. Das ist nicht immer so leicht. Aber die Sätze haben fast einen Rhythmus, von Reimen und gleich vielen Wörtern. Und dann wieder Reim. So dass es ihr, glaube ich, in der Komplexität aller Gedanken, die sie im Kopf hat, total hilft, es kurz auf den Punkt zu bringen. Und das ist etwas, was mir auffällt in ihrem Stil und mich aber auch fasziniert.
Moderation der beiden Hosts
Mirjam Rosentreter: Also, wir haben Pia dabei erlebt. Wie sie das macht und tippt. Wenn sie ganz entspannt war, völlig frei, dann hatte Brigitta, ihre Mutter, ihre Hand nur hinten an ihrem Schulterblatt liegen. Oder so irgendwie so im Grunde…
Marco Tiede: Im Nacken meinst du?
Mirjam Rosentreter: Ja so ein bisschen einfach auf angenehmer Tuchfühlung. Also hat ihr so einen sicheren Raum gegeben. Dann hat Pia vollkommen frei mit ihrer rechten Hand getippt. Und man sah richtig, wie ihre Augen die Buchstaben suchten. Also, es wirkte auf uns sehr authentisch.
Statement
André Frank Zimpel: Selbstbestimmtheit hängt also auch davon ab, ob ich ein Kommunikationssystem besitze, was das Potenzial besitzt, etwas zu definieren, also zu bestimmen. Das wird oft verwechselt. Also Kommunikation ist immer vorhanden. Ich kommuniziere, wenn ich auf Menschen treffe, immer. Aber diese Kommunikation ist von der Person, von der sie ausgeht, unbestimmt. Sie kann sie nicht definieren.
Und das ist das Problem. Also wir lösen mit unterstützter Kommunikation, mit gestützter Kommunikation, mit Gebärdensprache, mit Metakom, mit MindSpeak oder was es alles für Systeme gibt… Es gibt viele Kommunikationssysteme. Die eine falsche Bezeichnung haben! Es geht eigentlich nicht um kommunizieren. Sondern es geht um definieren. Also, dass ich in der Lage bin, zu bestimmen, wie ich verstanden werden will.
Moderation der beiden Hosts
Mirjam Rosentreter: Das ist ja auch ein Punkt, der kritisiert wird. Dass selbst wenn die gestützte Kommunikation korrekt abläuft. Das immer noch bleibt: dieses Problem der Abhängigkeit.
Marco Tiede: Jaja, die Abhängigkeit vom Wohlgesonnensein der Stützpartner und -Partnerin. Wenn die dann auch gerade keine Lust hat zu stützen, dann kann sie sich nicht ausdrücken.
Mirjam Rosentreter: Esist… Es kann funktionieren. So wie wir das beobachtet haben. Es ist aber in jedem Fall sehr anstrengend. Und nicht für jede Gelegenheit geeignet. Das haben wir ja auch beobachtet bei unserem Spaziergang. Da war es einfach nicht möglich, mit Pia zu kommunizieren.
Marco Tiede: Es gab ja die Möglichkeit, auf diese kleine Papiertastatur zu schreiben, ne.
Mirjam Rosentreter: Wo die Buchstaben aufgedruckt waren.
Marco Tiede: Die Buchstaben draufgezeichnet sind. Und sie dann da auf dem Oberschenkel liegend das getippt hat. Und ich weiß noch, da gab es eine Situation. Da hatten wir irgendeine Frage gestellt und Pia begann zu schreiben. Und einer von uns, ich weiß nicht mehr wer…
Mirjam Rosentreter: Ich war’s!
Marco Tiede: Du hattest schon so ein bisschen vorausgeahnt, so prädiktiv gesagt: Jaja, das und das wolltest du sagen. Da hatte sie ja sich das verbeten. Und darum gebeten, dass du sie in Ruhe zu Ende schreiben lässt. Damit nicht deine Gedanken ihre Gedanken werden. Oder umgekehrt. Also dieses, damit da nicht Projektionen entstehen. Sondern sie möchte ihren Gedanken in Ruhe zu Ende schreiben. Wo man vielleicht im Verbalkontext sagen würde, wenn jemand anfängt die Sätze des anderen zu vervollständigen, zu sagen: Entschuldigung, lass mich bitte mal zu Ende sprechen.
Mirjam Rosentreter: Und nach unserem Spaziergang dann bei unserem zweiten halben Tag, den wir miteinander verbracht haben in Leverkusen, da sagte ich zu Pia: Mensch, jetzt haben wir die ganze Zeit schon miteinander verbracht. Und ich hätte dir so viele Fragen stellen wollen. Und es ging ja gar nicht. Was machst du denn jetzt mit den ganzen Gedanken in deinem Kopf?
O-Ton Spaziergang in Leverkusen-Opladen
Mirjam Rosentreter: Durch unseren Spaziergang jetzt kann ich mich ansatzweise ein bisschen da so reindenken. Wie das ist, in dem Moment eben nicht…
Pia Kollbach: (summt laut und vibrierend)
Mirjam Rosentreter: …sprechen zu können.
Pia Kollbach: (der Ton geht in ein aufgeregtes Blubbern mit Lippen und Zunge über)
Atmo-O-Ton im Wohnzimmer der Familie
(Pia summt und schlägt schnell und klangvoll einen Keks von innen gegen den Rand einer Glasschüssel)
Brigitta Kollbach: (ermunternd) Hmmh! Tun wir mal die Kekse rein.
(Geraschel)
Brigitta Kollbach: Wollen wir jetzt mal hoffen, dass das Ding hier funktioniert. So.
(legt den Talker bereit)
Mirjam Rosentreter: Ist dir von unserem Spaziergang noch was in Erinnerung, was du eigentlich da hättest sagen wollen?
(Pia tippt)
Pia Kollbach / Talker-Stimme Anna: Oh, das wäre abendfüllend!
(lässt den Keks wieder klimpern)
Mirjam Rosentreter: Warum?
(schreibt und schmatzt dabei konzentriert)
Pia Kollbach / Talker-Stimme Anna: Na wisst ihr, wie viel ihr so redet unterwegs? Bis ich das alles geschrieben hätte, wär es Nacht.
Mirjam Rosentreter: Was machst du mit den Wörtern, die dir im Kopf sind. Die eigentlich rauswollen. Wenn sie das in dem Moment nicht können?
Pia Kollbach / Talker-Stimme Anna: Runterschlucken. Manche schmecken gut, andere scheußlich.
Ausschnitt Podcast-Gespräch 1
Mirjam Rosentreter: Erinnerst du dich, Marco: In unserem Podcast hat Hajo Seng gesagt, nicht gehört zu werden, nicht verstanden zu werden, ist etwas, was alle autistischen Menschen gemeinsam haben.
Marco Tiede: Ja. (Pia fängt während seiner Antwort an zu tippen) Das ist auch meine Erfahrung. Selbst bei verbalen Autisten. Dass auch sie nicht verstanden werden. Und zuweilen leider auch nicht ernst genommen werden.
(energisches Tippen)
Pia Kollbach / Talker-Stimme Anna: Ich glaub nicht nur bei Autisten, die nicht sprechen. Menschen werden dann völlig unterschätzt.
Marco Tiede: Ja.
Pia Kollbach / Talker-Stimme Anna: Ich war 2019 mit der Studienstiftung auf ner Akademie in Südtirol. Das ging es um Themen wie Pränataldiagnostik und welches Leben ist lebenswert. Ich vermute, ich. k.o.nte hilfreiche Beiträge leisten.
Marco Tiede: K.o.nte. Das heißt dann wieder: Ich konnte hilfreiche Beiträge leisten.
Brigitta Kollbach: Genau.Genau. Sehr bedauerlich ist das hier.
Marco Tiede: Jaja, die Maschinen sind schon ein bisschen beschränkt. Da merkt man auch, dass die Menschen da offener sind. Danke, Pia.
Mirjam Rosentreter: Danke, Pia. Und danke euch beiden, Brigitta und Georg.
Brigitta Kollbach: Ja, wir haben zu danken.
Georg Kollbach: Ja, gerne.
Brigitta Kollbach: Sehr spannende Sache hier.
(Pia tippt)
Pia Kollbach / Talker-Stimme Anna: Tschüss zusammen. So viel Zeit muss sein.
Atmo-O-Ton draußen vorm Haus
(eine kläglich stumpfes Fahrradklingeln, danach ein helleres, Vögel singen)
Georg Kollbach: Das ist besser.
(gemeinsames Lachen)
Mirjam Rosentreter: Also.
Georg Kollbach: (sich entfernend) Tschüüüüss!
Marco Tiede: Ciao!
Mirjam Rosentreter: Tschüss! Dankeschön! Viel Spaß noch hier in Bremen.
(Fahrradklingel, sich langsam entfernend, Vögel singen)
Brigitta Kollbach: (leise)So, auf geht’s.
Wir blicken mit unseren Expertinnen und Experten noch genauer auf Pias besonderen Fall. Dazu bekommt ihr viele Hintergrundinfos zum Thema nonverbaler Autismus. Und neue Erkenntnisse aus der noch nicht zu Ende geführten Forschung zur gestützten Kommunikation.
Sprecher: Das war Spektrakulär. Eltern erkunden Autismus.
Mirjam Rosentreter: Unsere Kontaktdaten und alle Infos zu unseren Folgen findest du in den Shownotes auf unserer Seite spektrakulaer.de.
Sprecher: Der Podcast aus dem Martins-Klub Bremen. Gefördert durch die Heidehof-Stiftung, die Waldemar-Koch-Stiftung und die Aktion Mensch.
Sprecherin: Produziert in Zusammenarbeit mit Selbstverständlich. Der Agentur für barrierefreie Kommunikation.
Ende
