„Ich bin nicht lässig. Mich treffen blöde Seitenblicke immer noch.“
Mit Jochen Gertjejanßen, Arzt und Vater
Erscheinungstermin: 16.06.2025, Autorin: Mirjam Rosentreter
Vorweg ein paar Hinweise: In unserem Podcast reden wir über Dinge, die vielleicht bei euch etwas anstoßen. Bitte beachtet:
Unsere Gespräche geben persönliche Erfahrungen wieder und erfüllen keinen wissenschaftlichen Anspruch. Das Hören oder Lesen unseres Podcasts ersetzt keinen Besuch in einer Praxis oder Beratungsstelle. Fühlt euch ermutigt, offen auf Menschen in eurem Umfeld zuzugehen. Oder sprecht Fachleute in eurer Nähe an.
Rückmeldungen könnt ihr über hallo@spektrakulaer.de an uns richten. Oder ihr kontaktiert uns auf unserem Instagram-Kanal @spektrakulaer_podcast. Gerne versuchen wir auf Themen einzugehen, die Euch interessieren. Persönliche Fragen zu Diagnostik oder Therapie können wir leider nicht beantworten.
Im folgenden Abschnitt haben wir für euch unsere Sprachaufnahme transkribiert, also verschriftlicht. Als Text aufgeschrieben ist gesprochene Sprache nicht immer ganz korrekt und eindeutig verständlich. Das Manuskript entspricht auch nicht einem journalistisch überarbeiteten Interview.
Dieser Podcast ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt.
Wenn ihr uns oder unsere Gäste irgendwo zitieren wollt, bleibt fair: Achtet auf den Gesamtzusammenhang und denkt bitte immer an die Quellenangabe.
Im Zweifel gilt die schöne alte Regel: Lieber einmal mehr nachfragen.
Vielen Dank für eure Neugier und euer Verständnis!
Mirjam & Marco
…
Transkript zu Podcast Folge 17, erschienen am 16.06.2025,
mit Jochen Gertjejanßen und den Hosts Mirjam Rosentreter und Marco Tiede
Autorin: Mirjam Rosentreter
Hinweis: Der Text wurde behutsam redaktionell überarbeitet. Ziel ist es, das spontane Gespräch möglichst natürlich wiederzugeben. Deshalb dürfen sprachliche Ungenauigkeiten bleiben. Damit sich der Text leichter lesen lässt, ist die Zeichensetzung angepasst. Sie berücksichtigt die Sinneinheiten und Pausen, wie sie im Mündlichen typisch sind. Das heißt: Statt langer Bandwurmsätze gibt es öfter mal einen Punkt. Oder auch drei, wenn jemand kurz nachdenkt oder nach den richtigen Worten sucht. Dann kann ein angefangener Satz auch mal einfach ab… Und nun, viel Freude beim Lesen!
0:00:00
Intro
Musik
Sprecher: Spektrakulär. Eltern erkunden Autismus.
Mirjam Rosentreter: Hallo, mein Name ist Mirjam Rosentreter. Ich bin Journalistin, Mutter eines Sohnes im Autismus-Spektrum. Und ich mache das hier nicht alleine. Bei mir ist Marco Tiede…
Marco Tiede: Moin! Ich bin auch Vater eines Jungen im Spektrum und ich arbeite als Therapeut und auch als Berater.
Mirjam Rosentreter: Es gibt zu dieser langen Version unseres Podcasts auch eine kurze, den Kurz-Pod. Ein Manuskript zu dieser Folge findet ihr auf unserer Seite spektrakulaer.de.
Sprecherin: Heute mit Jochen Gertjejanßen, Arzt und Vater.
Mirjam Rosentreter: Herzlich willkommen, liebe Leute. Wir sind diesmal wieder zu viert im Studio. Mir gegenüber sitzt Marco…
Marco Tiede: Moin!
Mirjam Rosentreter: Und daneben unser heutiger Gast: Noch mal herzlich willkommen, Jochen!
Jochen Gertejanßen: Hallo, moin, ich freu mich.
Mirjam Rosentreter: Und die Person im Hintergrund, die Fotos und Videos macht – und heute nicht über knarzende Dealen laufen wird, weil sie sich einen Hocker genommen hat. Hallo, Marco B.! Marco Bianchi aus unserem Team, für Social Media und unsere Webseite zuständig.
Marco Bianchi: (leise aus dem Hintergrund) Hallo auch von mir.
Mirjam Rosentreter: Hast du die aktuellen Podcast-Zahlen schon gesehen?
Marco Bianchi: (leise aus dem Hintergrund) Oh, nee! Erzähl!
Mirjam Rosentreter: Mehr als 31.000 Streams!
Marco Bianchi: (leise aus dem Hintergrund) Yeah!
Marco Tiede: Ich hab gerade „screams“ verstanden. (kichert) 31.000 Schreie.
Mirjam Rosentreter: Also, auf jeden Fall: Danke, liebe Hörerinnen und Hörer! Fürs Weiterhören und Weiterempfehlen. Und offensichtlich auch über unsere kleine Pause ohne Gast hinweg.
Denn im Mai haben Marco und ich ja beim Fachtag Neurodivergenz in Bremen für euch genetzwerkt und weitere Kontakte geknüpft.
Wir sind ja immer auf der Suche nach neuen, interessanten und gut informierten Reisebegleitern auf unserer Erkundungstour durch das Autismus-Spektrum. Und, Marco, du meintest schon beim Blick auf die Referentenliste hier im Flyer: Jochen Gertjejanßen? Den kenne ich doch! Ist der nicht in unserem E-Mail-Verteiler zum Elternkreis?
Marco Tiede: Kam mir bekannt vor. Ich hatte gerade irgendwie neue Gäste des Elternkreises in die Verteilerliste eingepflegt. Und dann stieß ich über den Namen Jochen Gertjejanßen. Und da dachte ich: Moment? Der ist ja auch bei uns im Elternkreis, cool!
Mirjam Rosentreter: Ich hab mal ge…
Marco Tiede: Dass wir so prominente Leute im Elternkreis haben! (lacht)
Mirjam Rosentreter: (lacht) Ja, ich habe mal geschaut, wann du uns angeschrieben hast, ob ihr mal dabei sein könnt. Das ist schon etwa neun Monate her.
Jochen Gertejanßen: Ja, tatsächlich, ne? Ja. Und wir haben es bisher kein einziges Mal geschafft, zu meiner Schande.
Mirjam Rosentreter: Woran liegt’s?
Jochen Gertejanßen: Das liegt daran, und ich glaube, das muss ich euch ja nicht erklären, dass es einfach mit Kindern im autistischen Spektrum einfach unglaublich herausfordernd ist. Die Tage und die Abende. Vor allen Dingen die Feierabende. Irgendwie zu planen und irgendwie zu machen. Und dass das ohnehin etwas ist, was zwei Eltern im Grunde fast rund um die Uhr fordert, auf Hochtouren fordert. Und wir tatsächlich irgendwie in den letzten Jahren kaum Körner gefunden haben, um uns da Zeit zu nehmen. Was total schade ist.
Weil dieses Vernetzen eigentlich total wichtig ist. Deswegen bin ich auch total froh und glücklich, heute hier sein zu dürfen. Deswegen war auch dieser Autismus-Tag, der Neurodivergenz-Tag… Fand ich so wichtig! Ja, das sind so kleine Dinge. Anfänge. Und ich hoffe, es geht mehr.
Mirjam Rosentreter: Schön! Ich muss mal kurz hier eine Seite… Ich hab‘ heute so ein wunderbares Papier! Das fühlt sich so weich und soft an. Das hat so eine ganz feine Oberfläche. Ich hab‘ sonst immer so ein dünnes, raues. Und ja, das nur so am Rande…
Marco Tiede: Bist heute so ein bisschen auf haptischer Spur, ne? (schmunzelt)
Mirjam Rosentreter: Ja, ja, ähm… Lieber Jochen! Du bringst eine ganz spannende Kombination mit. Du hast einmal die persönliche Expertise als Vater, also die persönliche Erfahrung. Und dann bist du aber auch Arzt, Facharzt. Ich würde das einmal kurz für unsere Hörerinnen und Hörer…
Jochen Gertejanßen: Facharzt bin ich nicht, aber auf dem Weg dahin. Ja.
Mirjam Rosentreter: Okay, aber du arbeitest ja in der Psychiatrie.
Jochen Gertejanßen: Oberarzt, als Oberarzt.
Mirjam Rosentreter: Als Oberarzt, Ah ja! Und dann stimmt die Bezeichnung „Facharzt“ in dem Sinne noch nicht?
Jochen Gertejanßen: Na ja, Facharzt ist halt nochmal ein gesonderter Weiterbildungsschritt. Also wenn man Medizin studiert hat, dann macht man im Anschluss eine Facharzt-Weiterbildung. Die in erster Linie aus Zeit besteht. Die Zeit habe ich. Und dann braucht man aber noch so ein paar Kleinigkeiten. Irgendwie einen Kurs hier und eine Anwesenheit dort. Und da fehlen noch so ein, zwei Kleinigkeiten. Um mich dann auch irgendwann mal zu dieser Prüfung anzumelden, die man auch noch machen muss. Also, ich bin fast durch. Und ich könnte mich jetzt auch langsam mal anmelden. Aber das sind halt so die letzten Fleißarbeiten, die dann noch fehlen.
Marco Tiede: Das ist ein zähes Unterfangen, dahin zu kommen.
Jochen Gertejanßen: Ja. Vor allen Dingen, wenn man irgendwie auch schon so ein gewisses Alter überschritten hat. Und auch noch ein paar andere Verpflichtungen hat. Und dann irgendwie nicht so jeden zweiten Abend in der Woche noch zu irgendwelchen Veranstaltungen geht. Und irgendwelche Kurse besuchen mag und kann. Und ja, dann ist das halt einfach in der Priorität nicht so ganz oben.
Und man muss das auch gar nicht sein. Also das war früher gar nicht so üblich. Früher waren es die Chefärzte. Und die, die halt Praxen aufgemacht haben. Die hatten einen Facharzt, irgendwie so eine Handvoll Oberärzte. Aber ansonsten war das eigentlich früher auch relativ normal, dass Ärzte einfacher Arzt sein durften. Und ich bin das. Ich bin Arzt in der Psychiatrie, Oberarzt und das bin ich total gerne.
Marco Tiede: Ja. Hmmh.
Mirjam Rosentreter: Bei der Recherche über dich im Internet habe ich auch gesehen, dass du ja auch sehr viele Jahre was vollkommen anderes gemacht hast. (Jochen schmunzelt) Aber da will ich später kurz drauf zurückkommen. Kleiner Cliffhanger für später. Ich würde ein paar Infos… was?
Marco Tiede: Hört weiter! Hört weiter, sage ich. Hört zu Ende. (kichert)
Mirjam Rosentreter: (lacht) Ich würde… Ich klaue mir jetzt mal ein paar Infos. Aus der Anmoderation, die du selber für dich gemacht hast. Als du beim Fachtag deinen Vortrag begonnen hast. Also: Jochen Gertjejanßen ist 57 Jahre alt. Leitet als Oberarzt die Abteilung für allgemeine Psychiatrie am Ameos Klinikum in Bremen…
Jochen Gertejanßen: Nicht die ganze Abteilung, aber eine Station. Genau.
Mirjam Rosentreter: Eine Station. Und die ist für allgemeine psychiatrische Probleme sozusagen.
Jochen Gertejanßen: Mmh. Genau.
Mirjam Rosentreter: Du hast zwei autistische Söhne, neun und 18 Jahre alt. Und der ältere hat zusätzlich eine ADHS-Diagnose, hast du da auch erzählt…
Jochen Gertejanßen: Der Jüngere. Ein ADHS-Verdacht. Also, im Grunde muss man das… Also, der hat ein ADHS, ziemlich sicher. Und wir sind gerade in der Diagnostik dafür, um das abzuschließen. Genau. Der Ältere? Vielleicht, aber nicht so augenfällig.
Mirjam Rosentreter: Und dann hast du noch angedeutet, dass du auch selbst eine persönliche Neurodivergenz-Erfahrung mitbringst. So hast du es formuliert.
Jochen Gertejanßen: Naja, wenn man irgendwie so 57 Jahre durchs Leben schlenkert. Und – du hast das ja schon als Cliffhanger angedeutet – irgendwie auch einen ziemlich wilden Lebenslauf mit sich bringt. Dann ist das schon mal das eine, was so augenfällig ist.
Das ist eigentlich das, was so als diagnostisches Kriterium auch immer in der Erwachsenenpsychiatrie für Neurodivergenz recht wichtig ist. Was ist denn da passiert im Leben? Gibt es viele Brüche? Gibt es viele Biografiebrüche? Gibt es irgendwie merkwürdige Dinge, die nicht in so einem 08…, nein 08 15-Leben ist jetzt gemein. Aber in so einem normalen Leben halt irgendwie stattfinden.
Und naja, und dann, als ich angefangen habe mich mehr und mehr intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Selber zunehmend Testung auch zu machen. Dann sitzt man da ja mit den Menschen, mit denen man die Testung macht. Und füllt mit denen die Fragebögen aus. Und geht die Fragen durch. Und so habe ich mir gedacht: Ey Alter, du hättest jetzt auch hier jede Frage genauso beantwortet! Ja, also sowohl bei den ADHS-Fragebögen, als auch bei den autistischen Fragebögen. Also nicht jede. Aber viele so viele, dass es reichen würde.
Und dann habe ich selber darüber nachgedacht. Ich habe nie eine wirkliche Diagnostik bei mir machen lassen. Das ist noch mal so was, was ich vielleicht noch mal anstrebe. Das zu tun. Wobei, Pff, jetzt ist auch egal, glaube ich. Mit 57? Aber ich bin mir schon ziemlich sicher. Und wenn man sich so unsere Familie anguckt. Meine Frau ist auch ziemlich sicher sehr, sehr weit im neurodivergenten Spektrum unterwegs. Und wenn das ganze irgendwie genetisch sein soll. Und man zwei Söhne so hat, die da so durch die Gegend rennen. Dann: Joah. Kann man, glaube ich, sagen: Wird wohl so sein.
Marco Tiede: Ich stelle mir das noch mal knifflig vor. Wenn du dann sozusagen eine Diagnostik machen lassen würdest. Du dann ja Kollegen gegenüber sitzt oder Kolleginnen. Und man dann vielleicht zusammen fachsimpeln könnte. Ob das jetzt stimmig ist, was du da angekreuzt hast. Oder wie die das interpretieren, ne?
Jochen Gertejanßen: Hmm. Ja, das ist ja mit der Diagnostik eh so eine Sache. Weil, im Grunde ist die Diagnostik ja eine klinische Diagnose.
0:09:32
Marco Tiede: Ja.
Jochen Gertejanßen: Man entscheidet aufgrund der Basis dessen, was der Mensch mir an Informationen gibt. Wie ich den Menschen wahrnehme. Wie ich den sehe. Wie der wirkt.
Und diese Tests wären bei mir sicherlich nicht valide. Weil ich ja genau weiß, was ich ankreuzen müsste. Um das Ergebnis zu bekommen, was ich haben will. Das weiß ich natürlich.
Schwierig wird es dann schon eher mit Dingen wie Fremdanamnese. Dass man das eben nachweisen kann, dass es in der Kindheit auch schon so war. Je länger so eine Kindheit zurückliegt, desto schwerer können sich alle daran erinnern.
Marco Tiede: Vor allem die Eltern.
Mirjam Rosentreter: Du meintest gerade: Mit 57 ist es auch irgendwie egal. Warum bist du dir da so sicher?
Jochen Gertejanßen: Weil sowohl Autismus als auch ADHS ja keine Erkrankung ist, die für mich irgendeine Behandlungsoption bedingen würde. Also, man kann Symptome eines ADHS behandeln. Klar, das wissen wir. Das funktioniert auch ganz gut. Vielleicht würde es bei mir auch manchmal helfen, mich besser zu strukturieren. Aber es ändert ja nichts an mir. Das ist dann ein Teil von mir, genau wie es ein Teil von meinen Kindern ist. Genau wie es ein Teil von euren Kindern ist. Das ist halt einfach so.
Marco Tiede: Ja, ich glaube, du hast dich ja auch bei deinem Vortrag auf das Strukturmodell von Tebartz van Elst bezogen. Was ja das immer nochmal ganz gut darstellt. Da kommt jemand mit einer Strukturierung an. Und woran wir in der Therapie arbeiten, ist ja nicht die Struktur. Sondern die Probleme, die auftreten. Oder die Zustände, die dann eher wieder in euer Fachgebiet fallen. Ich glaube, da hattest du ja aber auch noch ein paar Fragen für…
Mirjam Rosentreter: Ja, genau. Wollte ich später kurz darauf kommen. Ludger Tebartz van Elst war ja bei uns auch im Podcast zu Gast. In Folge 5, wenn ihr das noch nicht gehört habt. Hast du auch gehört?
Jochen Gertjejanßen: Ja.
Mirjam Rosentreter: Und was gelernt noch?
Jochen Gertejanßen: Ja, ich hab extra meinen Nachhauseweg von der… Da war ich noch… Wo hab ich denn da gearbeitet? War ich da schon wieder in der Klinik? Ja, ich glaube. Von der Klinik aus ganz außen rum geleitet über Oyten, Oyter See und so zurück. Um die Folge wirklich ganz bis zum Ende zu hören. Weil ich da sehr viel gelernt habe! Ich hab‘ tatsächlich aus eurem Podcast, glaube ich, mehr gelernt als aus vielen Büchern. Die ich gelesen habe oder quergelesen habe. Weil ich das, was ihr macht, total wertvoll finde. Also einfach mit Menschen zu reden und mit Menschen… Oder die Geschichte von Menschen einfach zu präsentieren.
Und das ist ja das, wie wir eigentlich, finde ich, in der Psychiatrie auch arbeiten sollten. Menschen ihre Geschichte erzählen lassen. Und ein Stück weit daran teilnehmen dürfen. So ein Teil derer Geschichte zu werden. Und die mitzuerleben. Das ist zumindest so das Selbstverständnis, wie ich arbeite. Wie mein Chef arbeitet. Und wie wir in dieser kleinen, wie sagt der immer, „Orchidee im Ameos-Dschungel“ arbeiten. (Marco und Mirjam schmunzeln)
Mirjam Rosentreter: Dankeschön.
Marco Tiede: Ja. Wie kommt die Orchidee da zustande als Bild?
Jochen Gertejanßen: Ach, das sagt Uwe, mein Chef, immer zwischendurch so ganz gerne. Ich glaube einfach, dass… Also jeder Arbeitsplatz, so jeder Ort, an dem man irgendwie tätig sein kann, lebt ja von den Menschen, die dort tätig sind. Ich finde, dass in dieser Klinik einfach eine ganze Menge sehr beeindruckender Menschen versammelt sind. Und es insgesamt so ein Geist von… von einem sehr menschlichen, humanistisch geprägten Miteinander gibt. Was eigentlich tatsächlich, so wie ich es gerade gesagt habe, den Menschen mit seinem gerade in dem Moment bestehenden Problem in den Mittelpunkt stellt. Und versucht, das irgendwie miteinander zu lösen. Und zu gucken, was geht.
Marco Tiede: Verstehen wollen. Und annehmen. Und ernst nehmen, vor allen Dingen. Das ist auch etwas, was ja Stefanie Meer-Walther auch immer wieder betont hat. Als sie gefragt wurde: Was wäre denn das Wichtigste, was du Menschen mitgibst, die Menschen im Spektrum begegnen? Sagt sie: Ja erst mal ernst nehmen. Also als Anfang.
Mirjam Rosentreter:Da werden jetzt ganz viele von euch ganz große Ohren bekommen haben. Deswegen muss ich eben klären: Eure Klinik ist für Erwachsene, ne?
Jochen Gertjejanßen: Ja.
Mirjam Rosentreter: Und für Erwachsene. Die gesetzlich versichert sind auch? Oder nur für Privatversicherte?
Jochen Gertejanßen: Wir behandeln auch Privatversicherte. (lacht)
Mirjam Rosentreter: (lacht) Auch!
Jochen Gertejanßen: Aber nee: Wir sind eine „normale“, in Anführungsstrichen, psychiatrische Klinik. Die sich allerdings so ein bisschen auf die Fahnen geschrieben hat, ab dem ersten Tag auch psychotherapeutisch zu arbeiten. Und das ein bisschen zu seinem Schwerpunkt zu machen. Wir sind eine Erwachsenenklinik. Das heißt, die Menschen müssen das 18. Lebensjahr erreicht haben, um bei uns aufgenommen werden zu können. Genau.
0:14:19
Mirjam Rosentreter: Und wie lange warten Menschen, die auf der Suche sind nach einer Autismus-Diagnostik, auf ihren ersten Termin bei euch?
Jochen Gertejanßen: Das ist eine Frage… Die ist ein bisschen schwierig! Weil wir tatsächlich nicht unbedingt direkt Autismus-Diagnosen anbieten. Wir machen das im stationären Rahmen. Also, wir diagnostizieren alles, was so im Bereich Neurodivergenz unterwegs ist. Genauso wie alle anderen psychiatrischen Störungsbilder eben auch.
Zur Therapie gehört eben erstmal die Diagnose. Und das gehört dazu. Und so zumindest meine Haltung dazu ist: Wenn ein Mensch sechs, oder vielleicht sogar ein bisschen länger, Wochen bei uns verbringt. Dann muss es möglich sein, in der Zeit auch relativ aufwändige Diagnosen wie eine Autismus-Diagnostik oder eine ADHS-Diagnose zum Abschluss zu bringen. Das muss gehen. Aber wir können die Menschen nicht aufnehmen für die Diagnose einer Neurodivergenz. Das geht nicht. Weil, eine Klinik kann nur Menschen behandeln, die aufgrund ihrer aktuellen psychiatrischen oder psychischen Situationen eine stationäre Behandlung brauchen.
Und dafür braucht es zum Beispiel eine schwere Depression. Oder es braucht eine schwere Angststörung. Eine Zwangsstörung. Eine Posttraumatische Belastungsstörung. Oder, oder. Also eine entsprechende Symptomatik, die eben nicht ambulant behandelt werden kann. Sondern die einen stationären Aufenthalt voraussetzt. Sonst würde die Krankenkasse das nicht zahlen.
Und das bedeutet, dass wir eben… Vielleicht enttäuschend für so ein paar, die jetzt zuhören: Also bitte nicht anrufen in der Klinik! Und nach einem Diagnostik-Termin fragen. Das geht leider nicht. Wir machen aber die Diagnose bei den Menschen, die wir aus anderen Gründen aufnehmen, sehr wohl.
Mirjam Rosentreter: Der Fachtag, wo wir waren, hatte ja das so ein bisschen als Leitfrage: Kann dieses Konzept der Neurodivergenz, das dort diskutiert wurde, helfen? Dass dann ein klareres Verständnis dafür auch unter Menschen, die damit nicht so viel zu tun haben, entsteht. Was das so mit sich bringt, ein anders funktionierendes Gehirn zu haben.
Und dein Vortragsthema war: Was hat Neurodivergenz mit psychischen Erkrankungen zu tun? Autismus ist ja eine Form von Neurodivergenz.
Ähm…Ja, jetzt habe ich ein bisschen weit ausgeholt. Weil ich an sich zwei Sachen gleichzeitig will, was nie gut ist. (lacht)
Marco Tiede: Stell doch die erste Frage, die du stellen wolltest.
Mirjam Rosentreter: Ja. Ich wollte eine noch für alle Hörerinnen und Hörer stellen, für die der Begriff Neurodivergenz immer noch nicht so ganz klar ist. Mir ist da der Satz einer Schwiegermutter im Ohr, die sagte: Muss das Kind denn jetzt schon wieder einen neuen Namen haben? Was ist das denn das jetzt schon wieder?
Jochen Gertejanßen: (schmunzelt) Ja, eigentlich müsste es diesen Namen vielleicht auch gar nicht geben. Wenn man anerkennen würde, dass Menschen unterschiedlich sind. Und jeder Mensch entsprechend seiner Fähigkeiten, seiner Möglichkeiten, seiner Vorlieben, seiner Persönlichkeit das tun dürfte und das tun könnte, was er gerne möchte.
Da das aber bei uns in unserer Gesellschaft nun mal leider nicht so ist, braucht ja alles irgendwie den berühmten Stempel. Und Neurodivergenz beschreibt, finde ich, an der Stelle zumindest einen guten Ansatz. Nämlich zu sagen: Es gibt Menschen, die einfach nicht in diese große Durchschnitts-Gaußsche-Glockenkurve hineinpassen. Sondern entweder auf der einen Seite oder auf der anderen Seite herausragen.
Was sie erstmal nicht krank macht. Und was sie erstmal nicht irgendwie verrückt macht oder sonst was. Aber vielleicht anfällig macht. Dafür, dass sie, wenn man eben nicht auf ihre speziellen Bedürfnisse reagiert, krank werden könnten.
Das finde ich einen sinnvollen Gedanken. Und so dieses Bild von Ludger Tebartz van Elst mit dem 2.30 großen Menschen. Das benutze ich auch immer, wenn ich allen Menschen erkläre. Das ist erst mal per se nicht krank. Sondern ganz im Gegenteil: Jemand, der in der NBA Basketball spielt und das gut kann, wird das mit 2.30 noch ein bisschen besser können. Als der, der nur zwei Meter ist. Aber wenn man in Deutschland durch Türen geht, ohne den Kopf einzuziehen. Dann ist das für die Hirngesundheit dauerhaft nicht gut. Wenn man versucht in deutschen Standardbetten von zwei Metern zu schlafen. In der Größe dann ist das für den Rücken nicht gut. Und Schuhe zu kaufen ist ein Fiasco.
Marco Tiede: Ja, das stimmt. Das ist dann ein Nachteil. Also wirklich schon so ein praktischer Nachteil. Und wenn dieser Mensch im Auenland leben müsste, würde er schwere Haltungsschäden davontragen.
Jochen Gertejanßen: So, ja. Oder das Beispiel Brille finde ich auch an der Stelle gut. Das ist ja nun mal was, wenn wir unsere Brille nicht auf… Also, wenn ich die morgens nicht aufsetze, dann laufe ich gegen Türrahmen. Aber nicht, weil ich so groß bin. Sondern, weil ich den nicht sehe. Und das ist aber eine Sache, die man relativ leicht korrigieren kann. Dieser Nachteil lässt sich relativ leicht ausgleichen. Und dann kann ich eigentlich ein fast normales Leben führen.
0:19:45
Marco Tiede: Ja, also da, wo er dann nach dem Strukturmodell sagt… Er hat das ja auch mit der Brille angeführt. Das ist eine Strukturierung. Das Auge wird weitsichtig oder kurzsichtig. Und da lässt sich gegen das Problem der Kurz- oder Weitsichtigkeit ein Hilfsmittel anschaffen. Bei mir wären es dann noch die Ohren. Wenn ich die Hörgeräte nicht hätte, würde ich hier wahrscheinlich auf langer Leitung sitzen und mal sagen: Ey, was hast du gesagt? Kannst du das nochmal sagen? Passiert ja zum Glück nicht.
Mirjam Rosentreter: Super Stichwort: Hörgeräte. Bei mir melden sich gerade die Batterien, dass die schlapp machen. Ich habe ja auch Hörgeräte. Und ich habe mein Handy ausgeschaltet. Ich habe es auch auf lautlos gestellt, damit ich keine Kalendererinnerungen kriege. Aber meine Hörgeräte-Batterien habe ich nicht gecheckt.
Marco Tiede: Ja, dann wechsle die doch mal! Nutze ich…
Mirjam Rosentreter: Bevor jetzt alle Minute hier so ein Bimm-Bimm-Bimm-Bimm-Bimm-Bimm-Bimm in mein Ohr brandet und mich ablenkt…
Akustischer Trenner
Mirjam Rosentreter: Jochen, du hast erzählt, hast ein paar Zahlen mitgebracht bei deinem Vortrag. Dass unheimlich viele Menschen, die bei euch wegen einer akuten Krise oder wegen eines hohen Leidensdrucks landen, eine Neurodivergenz mitbringen. Also für ADHS gibt es da konkrete Zahlen. Ich habe mir aufgeschrieben: 59 Prozent der Menschen in psychiatrischer Behandlung sind im ADHS-Spektrum?
Jochen Gertejanßen: Das ist eine Studie, die ist jetzt nicht so wahnsinnig groß. Die wird aber weiter fortgesetzt. Die ist in Schleswig-Holstein publiziert worden. An zwei Kliniken, glaube ich. Ich weiß jetzt nicht genau. Frage mich jetzt nicht nach den Quellen. Habe ich nicht dabei.
Mirjam Rosentreter: Suchen wir noch für euch raus.
Jochen Gertejanßen: Das war eine sehr beeindruckend große Zahl. Die auch weiter verfolgt wird. Und die haben das halt umgekehrt gemacht. Die haben im Prinzip die Menschen, die sowieso dort aufgenommen wurden in der Klinik, aufgrund von Standardeinweisungsdiagnose, rezidivierende depressive Störung…
Mirjam Rosentreter: Also eine, die nicht weggeht, heißt rezidivierend. Oder die immer wiederkommt.
Jochen Gertejanßen: Immer wieder kommt, genau. Nachuntersucht und festgestellt, dass zumindest in der klinischen Situation, in der Klinik, 59 Prozent der Menschen tatsächlich im ADHS-Spektrum waren. Das war Erwachsenenpsychiatrie. Und wenn man diese Zahlen jetzt vorsichtig übertragen würde. Was man aufgrund der Größe der Fallzahlen nicht darf, ist schon klar. Und man muss da noch mal gucken natürlich: Was ist das für eine Klinik? Hat die Klinik vielleicht ohnehin einen relativ hohen Anziehungswert für Menschen im Spektrum? Dann würde sie natürlich auch mehr frequentiert werden. So wie unsere Klinik auch. Die sich schon lange, lange mit dem Thema ADHS beschäftigt. Dann zieht eine Klinik mehr an, klar. Aber 59 Prozent ist trotzdem viel.
Und würde man das jetzt runterbrechen irgendwie auf die gesamte psychiatrische Landschaft in Deutschland. Dann wäre wahrscheinlich der Prozentsatz immer noch ein sehr hoher. Derer, die halt eben in der Klinik tatsächlich erst auffallen mit dem neurodivergenten Bild.
0:22:46
Mirjam Rosentreter: Für diejenigen, die sich jetzt fragen: Warum reden wir jetzt über ADHS und nicht über Autismus? Diese Zahlen, die es zu ADHS gibt, kann man die ein bisschen auf Autismus mit übertragen? Also gibt es da sozusagen Zusammenhänge, dass man da Rückschlüsse ziehen kann? Also beim Vortrag hast du das ja gemacht.
Jochen Gertejanßen: Ja. Und da gibt es tatsächlich eine ganze Menge Studien. Auch weltweit veröffentlichte Studien. Es gibt unterschiedliche Ergebnisse, die zwischen 20 bis 60 Prozent liegen in der Komorbidität von ADHS und Autismus. Also im Durchschnitt der Studien haben etwa 40 Prozent der Menschen im autistischen Spektrum auch ein ADHS. Und umgekehrt etwa 50 Prozent. Also 50 Prozent aller Menschen mit einem ADHS sind auch autistisch. Und das sind sehr große Zahlen. Die sind relativ belastbar.
Wir wissen ja noch nicht so wahnsinnig viel über die tatsächliche Krankheitsursache oder Störungsursache. Ihr seht gerade, dass ich mich winde. Weil, die Begriffe Krankheit und Störung sind eigentlich doof! Und ich versuche, sie immer rauszuhalten. Aber in der Medizin arbeiten wir halt damit. Weil uns das natürlich die Begründung für unsere Arbeit gibt.
Marco Tiede: Ja klar. Also, Tebartz van Elst hat das ja dann mal so ein bisschen auseinanderklamüsert. Er sagte: Nicht jede autistische Struktur oder ADHS-Struktur muss einen krankhaften Wert haben. Aber sie kann einen bekommen.
Und dann reden wir natürlich von einer pathologischen Geschichte. Die auch behandlungsbedürftig ist. So wie du ja für dich auch feststellst: Naja nach den Fünfzig Jahren, wo ich jetzt mich irgendwie durchs Leben geschlagen habe, brauche ich vielleicht nicht zwingend eine Diagnose. Außer vielleicht als Aha-Effekt. Insofern, dass du sagst: Das erklärt einiges. Aber du bist jetzt nicht in dem Sinn unter einem Leidensdruck, der dich jetzt behandlungsbedürftig erscheinen lässt.
Jochen Gertejanßen: Ja genau, das ist der Punkt. Ich glaube ja, dass es sehr, sehr viele Menschen gerade im autistischen Spektrum gibt, die über Jahre, Jahrzehnte, viele Jahrzehnte wahrscheinlich relativ gut durchs Leben kommen. Ohne überhaupt von der Diagnose zu wissen. Vielleicht immer schon wussten: Naja, gut. Das ist so mit dem Bekanntschaften schließen. Aber irgendwie ein bisschen sperrig. Und das mit vielen Menschen war immer ein bisschen anstrengend. Und wenn zu viele Reize kamen, war es immer irgendwie schnell doof für mich. Aber irgendwie immer durchs Leben gekommen sind.
Weil sie vielleicht auch einfach in einem Umfeld groß geworden sind, wo das voll und ganz akzeptiert war. Und wo das auch okay war, einfach so zu sein, wie man ist. Wo Brücken gebaut wurden in die Gesellschaft, in das Leben hinein. Und es deswegen nicht groß aufgefallen ist.
Und ich glaube, dass ich auch das Glück hatte. Sage ich tatsächlich, an der Stelle. So groß zu werden. Ich habe ein Elternhaus gehabt, was immer sehr, sehr tolerant gewesen ist. Was eigentlich alles zugelassen hat. Was vieles gestattet hat. Und, Grüße an meine Mutter: Die wird das immer noch so tun! Und die lässt immer alle so sein, wie sie sind. Und deswegen sind solche Dinge wahrscheinlich einfach auch immer okay gewesen.
Marco Tiede: Hmmh. Ja.
Mirjam Rosentreter: Mit dir, Jochen, haben wir auf jeden Fall den passenden Guide gefunden. Um heute einmal darüber zu sprechen, warum dieser Weg eigentlich für viele Familien so steinig ist. Im Sinne von, dass die Eltern eine Orientierung bekommen. Was ist eigentlich bei uns los? Warum fällt uns der Alltag mit unserem Kind anscheinend viel schwerer, als wir das bei anderen Familien beobachten?
Bei den Eltern in unserem Gesprächskreis, da fällt oft der Begriff der Odyssee. Also, erst ist es von Praxis zu Praxis. Von Verdacht zu Verdacht. Also, überhaupt eine Diagnostik zu finden. Und dann geht es ja weiter danach. Ja und was mache ich jetzt damit? Dann gibt es die große Suche nach der Hilfe.
Wie ist es euch da denn mit euren beiden Söhnen gegangen?
0:26:46
Jochen Gertejanßen: Das war tatsächlich… nicht unbedingt eine Odyssee, aber es war ein langer Weg. Und es war auch teilweise ein sehr schmerzhafter Weg. Der einiges abverlangt hat. Also, es ist ziemlich genau jetzt zwei Jahre her, dass wir für unseren jüngeren Sohn die Diagnose… Nicht bekommen haben – die haben wir so im Herbst vor zwei Jahren bekommen. Dann letztlich aber angefangen haben, tatsächlich intensiv danach zu suchen. Ob da mal nicht jemand irgendwie genauer drauf gucken könnte.
Nachdem er halt in vielen Bereichen Auffälligkeiten zeigte. Kommunikation schwierig war. Anpassung schwierig war. Einfach neue Dinge ein großes Problem darstellten. Und dann war es tatsächlich total schwierig, überhaupt irgendwo jemanden zu finden, der einem Diagnostik-Termine anbietet. Das war uns zu dem Zeitpunkt auch nicht so wirklich klar. Haben dann gedacht: Irgendwie ruft man mal irgendwie an und kriegt einen Termin. Und Ja, wir haben dann, nachdem wir die Diagnose hatten – ich glaube fast ein Jahr später… es war so ziemlich genau vor einem Jahr – noch einen Anruf aus dem UKE in Hamburg gekriegt. Die hätten jetzt auch einen Termin für uns.
Also die Wartezeiten sind einfach unendlich lange. Das war letztendlich Glück und Zufall.
Ich habe dann so eine Frage einfach in so ein Ärztenetzwerk reingespreadet. Und hab‘, glaube ich, so auf die Tränendrüse gedrückt. Dass ein Kollege aus Schleswig-Holstein sich dann gemeldet hat. Und uns einen Termin angeboten hat. Und das war… Das war ziemlich großartig. Und der hat uns unglaublich unterstützt an der Stelle. Und da haben wir einige Termine auch wahrgenommen.
Das war aber zu einem Zeitpunkt, wo im Grunde diese ganzen Fragestellungen: Wie gehen wir mit Einschulung um? Wie müssen wir nachdenken über Sachen wie Nachteilsausgleich? Oder ähnliches. Das war überhaupt nicht in unserem Fokus damals. Weil das alles so plötzlich kam. Mit Schulbeginn und mit den Schwierigkeiten, die auftauchten. Und auch mit den Menschen, mit denen wir dann in Kontakt kamen. Die das sämtlich, also wirklich sämtlich, im Umfeld negiert haben. Und gesagt haben: Nee, das ist doch kein Autismus! Nie im Leben! Der Junge kann einem doch in die Augen gucken! Das ist doch kein Autismus! Wir haben doch gesehen, dass er kuschelt! Das ist doch kein Autismus! Der spielt doch mit anderen Kindern! Das ist doch kein Autismus!
Marco Tiede: Er lächelt doch. Und was nicht noch sonst so alles kommt im großen Bullshit-Bingo, ne?
0:29:34
Jochen Gertejanßen: Ja. Aber, dass er es wirklich relativ gut geschafft hat zu dem Zeitpunkt. Ein paar Stunden am Tag zu maskieren. Und es abends nicht mehr hinzukriegen.
Mirjam Rosentreter: Aber wie erklärst du dir das… Ich warte kurz, bis Jochen sich eingeschenkt hat. Willst du kurz trinken?
Jochen Gertejanßen: Nö. Nein, mach.
Mirjam Rosentreter: (lacht) Ich finde das Geräusch, wie getrunken wird, ja auch schön.
Marco Tiede: Ich kann auch beim Trinken reden. Blublublublu. (kichert)
Jochen Gertejanßen: Und sich prima verschlucken.
0:30:03
Mirjam Rosentreter: Wie erklärst du dir das denn, dass sich so ein sehr enges Bild vom Autismus-Spektrum so hält?
Jochen Gertejanßen: Das ist eine ziemlich gute Frage! Die ich mir auch gar nicht so richtig beantworten kann. Es gibt ja immer so ein paar Erklärungsmodelle dafür. Nun bin ich ja noch nicht so ganz lange wieder zurück in der Medizin. Ich habe ja zwischendurch ganz lange andere Dinge gemacht. Und als ich studiert habe in den 90er Jahren, da war tatsächlich irgendwie… Ja die Fachwelt oder das Ansehen des Autismus in erster Linie von dem Kanner-Autismus und von dem Asperger-Autismus geprägt. Und dann eigentlich aber auch in beiden Fällen… Also Kanner sowieso, aber auch der Asperger-Autismus ja schon geprägt auch durch eine sehr, sehr auffällige Verhaltensweise von Menschen. Und das ist so dargestellt worden. Es war sehr männlich gelesen, das Bild von Autisten. Es ist auch so im Studium vermittelt worden.
Dann kamen diese, im Nachhinein wahrscheinlich für die gesamte Neurodivergenz-Geschichte eher unsäglichen Filme wie Rain Man und Ähnliches. Die ja auch dieses Bild dann nochmal so verfestigt haben. Dass Autisten eigentlich genau so zu sein haben und nicht anders. Die können tausend Zahlen irgendwie auswendig. Und ansonsten stolpern sie aber über jede Teppichkante oder so.
Und dass sich das jetzt immer noch so hartnäckig hält, dieses Bild… Ich glaube, also es gibt ja Ausnahmen, glücklicherweise, aber es ist wenig. Ich glaube, dass es verschiedene Ursachen hat. Also auf der einen Seite die Menschen, die nach wie vor unterwegs sind in der Diagnostik und eben auch in der Behandlung von Menschen. Ein Kollege hat das neulich so benannt: Die tun sich vielleicht ein bisschen schwer damit, das anzunehmen. Weil das ja bedeuten würde, dass sie vielleicht über viele, viele Jahre hinweg falsche Diagnosen gestellt haben.
Marco Tiede: Ja, die Erfahrung haben wir auch gemacht tatsächlich. Also gerade in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Dass dann so ein bisschen – wie so ein subtiler Rückgriff auf Bettelheim und der „Kühlschrankmutter“ – dann familiendynamische Prozesse vermutet werden. Wo man doch da erstmal gucken muss. Und das ist ja kein Wunder, dass es dann zu Bindungsstörungen kommt. Und so weiter.
Mirjam Rosentreter: Und, Marco, Entschuldigung, kurz: Was meintest du mit Familiendynamiken? Also, du hast ja jetzt aus der Perspektive aus dem Autismus-Therapiezentrum gesprochen? Wenn da neue Eltern Kontakt zu euch suchen?
Marco Tiede: Auch, ja. Auch was wir im Elternkreis hören. Was ich im Autismuszentrum höre. Aber auch was wir selbst erfahren haben. Also mit der Familiendynamik, das meine ich, das ist der subtile Verweis auf die „kalte Mutter“. Oder jetzt wird ja das neue Wort „toxische Elternschaft“ bemüht. Also, das ist so nochmal, dies in verschiedenen Begrifflichkeiten dargestellt.
Bis hin, dass uns dann auch die Frage gestellt wurde: Wieso wollen Sie unbedingt Ihrem Kind diesen Stempel aufdrücken? Weil das Wort Stempel! Es klingt ja dann immer noch… Das scheint ja immer noch ein Stigma zu sein. Dieses Autistisch-Sein – „Ganz, ganz, ganz schlimm!“ Und: „Das Schlimmste was es geben kann!“. So in der Art.
Und daher wird das dann so anscheinend von einem Großteil… Ich weiß nicht, ob es der größte Teil ist. Aber von einem Großteil der Fachwelt oder der, die diagnostizieren kann, dann anscheinend vermieden. Weil sie auch leider unterstellen, die Eltern wollen sich von irgendwelchen Unzulänglichkeiten freisprechen lassen.
Mirjam Rosentreter: Du nickst, Jochen?
0:33:56
Jochen Gertejanßen: Ja, also beim Autismus ist es ja so diese klassische „Kalte-Mutter-Idee“, die insbesondere so eine alte psychoanalytische Schule immer noch vertritt. Und nach wie vor vertritt. Das finde ich eher ein bisschen gruselig. Beim ADHS ist es so der Klassiker: Die Kinder haben zu viel Fernsehen geguckt. Oder: Die daddeln zu viel am Handy rum. Müsst ihr euch nicht wundern! Das halte ich beides für überhaupt nicht mehr tragfähig. Also, da gibt es eigentlich genug Erkenntnisse, die dagegensprechen sollten.
Marco Tiede: Ja, und ich glaube… Und das ist, glaube ich, die große Tragik. Wie du ja schon angedeutet hast: Dass oft noch das Bild von dem, was wir aus dem Kanner-Autismus kennen, diesem sogenannten frühkindlichen. Und ein Stück weit auch dem Asperger-Autismus. Der ja erst Ende der 80er überhaupt wieder hier in die deutschsprachige Welt kam. Oder in die englischsprachige Welt. Dass das sehr feststehende Bilder sind. Und dadurch wenig Kenntnis dieser Vielfältigkeit des Autismus-Spektrums – und auch des ADHS-Spektrums, nebenbei gesagt – so bekannt ist. Also dass das gar nicht mit einbezogen wird. Dass eben auch verdammt viele Menschen im Autismus-Spektrum durchaus gut in die Augen gucken. Oder so tun können als ob. Gucken auf die Nasenwurzel. Und alle denken: Ach guck mal! Der hält auch Blickkontakt! Das ist doch prima! Kann doch kein Autist sein.
Und ja… Und dann eben auch dieses Phänomen der Maskierung außer Acht gelassen wird. Wo es dann auch wieder, sogar auch unter Kolleginnen manchmal, leichte Angestrengtheiten gibt, wenn über Maskierung gesprochen wird. Wo man denkt: Ja, Gott, wer macht das nicht? Oder sind das Rollenklarheiten? Und sowas. Aber das ist ja nochmal ein Themengebiet für sich. Das wollen wir, glaube ich, so nicht vertiefen.
Mirjam Rosentreter: Du meintest ja auch, Jochen, dass so ein Unverständnis ja nicht nur bei Kolleginnen und Kollegen zu sehen ist. Aber du hast ja auch gesagt das Umfeld. Also, dieses Beispiel „Kann-euch-in-die-Augen-gucken“, das ist ja bei euch im Umfeld so an euch herangetragen worden.
Der Nachbarin, die sagt: Wieso? Der guckt mir doch in die Augen! Was sagst denn du der heute, mit der Lässigkeit des erfahrenen Vaters und Arztes?
0:36:19
Jochen Gertejanßen: Ich bin nicht lässig!
Mirjam Rosentreter: (lacht)
Jochen Gertejanßen: Also das ist etwas, was mich immer noch wirklich trifft. Anja, meine Frau, auch. Wobei Anja teilweise es wirklich hinkriegt, dann zu sagen in der Situation: Es gibt auch Behinderungen, die man nicht sieht. So.
Und also so diese klassische Situation: Restaurant, Kaffee oder so. Und dann passieren halt einfach Dinge, die irgendwie nicht so, eher nicht so alltagskompatibel sind. Und dann kommen diese klassischen blöden Blicke, ja?
Marco Tiede: Ja, furchtbar.
Jochen Gertejanßen: Von irgendwie… ich sag’s jetzt mal echt gemein. Es tut mir auch leid. Und ja, keine Klischees machen. Aber: So hochtoupierte Tanten! Die irgendwie im Café sitzen. Und dann irgendwie so rüber gucken so. Und dieser missfällige Blick! Und dieser… dieses leichte Kopfschütteln. Von dem man dann irgendwie sieht: Ach, die finden das jetzt gerade total doof.
Und die haben wirklich, ja einfach überhaupt keine Ahnung, so. Und wissen gar nicht, was vielleicht schon vorher den halben Tag passiert ist! Wissen gar nicht, was da schon an Reizen in diesem Kindergehirn verarbeitet werden musste. Was schon an Eindrücken verarbeitet werden mussten. Was an sozialen Herausforderungen da schon passiert ist. Dass dieses Fass einfach maximal zum Überlaufen voll ist. Und… Und wir trotzdem das Recht haben, hier zu sitzen. Und Eis zu essen. Oder Kaffee zu trinken. Oder so.
Marco Tiede: Ja. Und dann dieser… dieses Kopfschütteln mit dem mutmaßlichen Subtext „Ihr habt eure Kinder nicht im Griff!“ trifft dann ja trotzdem immer wieder aufs Neue.
Jochen Gertejanßen: Ja. Das war so vor einem Jahr oder vor anderthalb Jahren mit der alten Schulform. Und völlige Ahnungslosigkeit eben auch bei pädagogischen Menschen. Die das dann auch einfach negiert haben. Und einfach versucht haben wegzumachen. Und damit ja die eigene Wahrnehmung, die man ja über Jahre hat, im Grunde komplett ins Nichts laufen lässt. Und man sich permanent so fühlt: Wie? Habe ich jetzt irgendwie die letzten Jahre nur Blödsinn erlebt? So? Bilde ich mir das nur ein? Bin ich hier Helikoptermutter? Helikoptervater? Bin ich irgendwie mit einem Klammerbeutel gepudert? So? Ist das alles Quatsch, was ich hier wahrnehme?
Und das ist tatsächlich etwas, was nicht aufhört. Was besser wird dadurch, dass man tatsächlich so sein Netzwerk langsam – über die Zeit habe ich auch vorhin gesprochen – aber langsam erweitert. Und Menschen kennenlernt, die einem bestätigen: Nee, das ist völlig richtig so! Und: Genau!
0:39:19
Mirjam Rosentreter: Du hast beim Vortrag gesagt, dass fast jeder Mensch mit Autismus Traumatisierungen in seinem Leben ausgesetzt ist. Du meintest ja gerade, die Frau, die Tante da nebenan, die hat ja gar keine Ahnung, was heute schon passiert ist. Das sind ja so die kleinen, diese ganzen Mini-Traumatisierungen des Alltags. Die sich dann summieren.
Mit was für Problemen kommen denn die Menschen zu euch auf die Station? Was kommt da bei denen zusammen, damit sie dann bei euch landen in dem Sinne?
Jochen Gertejanßen: Also, die klassische Lebensgeschichte derer, die zu uns in die Klinik kommen. Und jetzt zum Beispiel noch keine Neurodivergenzdiagnose mitbringen. Und das sind viele Menschen tatsächlich. So in der Lebensphase um die 18, 20 Jahre herum.
Das Klassische sind eigentlich so diese Geschichten: Ja, ich war als Kind schon immer irgendwie recht still. Und war viel für mich alleine oder hab nur wenige Freunde gehabt. Und ein paar besondere Interessen so. Aber das war irgendwie noch alles okay. Das lief irgendwie.
Und die schweren Brüche kommen dann meistens so im Alter von 10 bis 14 Jahren. Spätestens halt mit Eintritt in die Pubertät. Und dann nochmal richtig knüppeldicke mit dem Erreichen der Volljährigkeit. Und dem Beenden der Schulphase. Wenn sie es denn überhaupt so weit geschafft haben, die Menschen.
Die Symptome, mit denen die Menschen zu uns in die Klinik kommen, sind häufig eine schwere depressive Symptomatik. Ich musste Menschen kennenlernen, die bereits im Alter von sieben, acht Jahren den ersten Suizidversuch gemacht haben. Ich habe Menschen erlebt, die im Grunde… Und es ist ja auch… Wenn ich euren Podcast aufmerksam verfolgt habe: Das zieht sich da irgendwie auch durch die Geschichten durch.
Ich habe eben auf diesem Neurodivergenz-Tag da ja auch die Frage in das Auditorium mit den 200 Leuten gestellt: Wer von den hier Anwesenden war zufrieden mit seiner Schulzeit? Und eine einzige Person hat sich gemeldet. So 0,5 Prozent. Nicht viel.
Schwere Ängste zum Teil. Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung sehen wir relativ häufig. Zwänge. Das häufigste sind tatsächlich Depressionen, Ängste und eine PTBS-Symptomatik. Und das mit der PTBS ist ja auch in erster Linie Symptomatik. Also, das ist ja das, was man einfach sieht. Was man wahrnimmt. Albträume, Flashbacks erleben, irgendwie das Gefühl, nicht in dieser Welt zu sein. Gepaart mit einer schweren Depressivität.
Und wenn man dann so ein bisschen in die Lebensgeschichte guckt, dann findet man da häufig solche Muster. Und wir finden die tatsächlich oft.
Mirjam Rosentreter: Es kam auch aus dem Publikum beim Fachtag die Frage einer Person, wie sich der autistische Burnout… Das ist auch so ein Begriff, der im Elternkreis häufiger genannt wird, von Eltern älterer Kinder, also die schon erwachsen sind. Wie der sich unterscheidet von einer klassischen Depression.
Jochen Gertejanßen: Das muss man jetzt mal die Menschen fragen, die es gerade in dem Moment erleiden. Dann müsste man jetzt einen klassisch depressiven Menschen mal fragen. Aber die Frage ist: Gibt es den überhaupt? Das ist dann vielleicht nachher nochmal so ein Thema.
Den Menschen, der nun gerade ganz eindeutig einen autistischen Burnout hat… Also „Burnout“ ist ja immer so eine Etikett. Ich finde an der Stelle diesen Begriff der „Stressreaktion“ besser. In der autistischen Stressreaktion. Was ja Menschen im Spektrum betrifft. Wenn sie einfach, wie ich es vorhin geschildert habe, den ganzen Tag über schon unendlich vielen sozialen Anforderungen ausgesetzt waren. Sehr viel Reize empfangen haben. Sehr viel Informationen bekommen haben. Die dann einfach irgendwann das System zum Überlaufen bringen. Und wenn da an der Stelle eben noch nicht die Selbstwahrnehmung so ausgeprägt ist. Dass man weiß: Ich muss jetzt hier raus aus der Situation! Ich brauche jetzt einen Rückzugsort. Weil, sonst passiert‘s. Dann passiert‘s.
Und auf diese autistische Stressreaktion aufbauend. Wenn die immer fortgesetzt kommt. Und ignoriert wird. Versucht wird, dagegen zu arbeiten. So nach dem Motto: Ach, es geht schon irgendwie eine Schippe noch drauf! Das funktioniert schon! Dann entwickelt sich tatsächlich daraus irgendwann eine tatsächliche Depression. Wie im Prinzip bei Menschen mit einer Überlastungsdepression genauso. Mit einer Erschöpfungsdepression. Die vielleicht ganz, ganz lange höchst angestrengt durchs Leben gehen.
Und das Ganze… Das zum Beispiel, also diese depressive Reaktion, die langandauernde Erschöpfungsdepression oder reaktive Depression, wie man früher sagte. Die lässt sich ja auch relativ gut neurobiologisch erklären. Über Stresshormone: Adrenalin und Kortisol.
0:44:46
Marco Tiede: Ja, und manchmal kommt ja so die Vermutung… Aber ich weiß nicht, ob du das bestätigen kannst. Dass ja dann das, was du gerade genannt hast, die reaktive Stressreaktion oder reaktive Depression, ja eigentlich ein Synonym ist für das Burnout. „Burnout“ ist ja dann eher so ein Behelfswort. Um dann nochmal, zumindest für Leute in der Geschäftswelt, nochmal auszudrücken: Die haben ja allerhand geleistet. Und sind jetzt einfach mal ausgebrannt.
Und was ich zum Beispiel, im Gegensatz dazu, von manchen Klienten in der Erwachsenengruppe gehört habe: Wenn sie ein autistisches Burnout beschrieben haben oder versucht haben zu beschreiben… Auch das hat sich unterschieden: Dann ging es bei denen um so eine Art von dauerhaften sogenannten „Meltdown“. Was du vielleicht mit „autistischer Stressreaktion“ gut umschrieben hast. Weil, „Meltdown“ ist ja auch wieder so ein Kunstwort, so ein Behelfswort. Was ja aus der Reaktorphysik kommt. Wenn dann die Reaktorstäbe zu heiß werden, dann fliegt uns der Reaktor um die Ohren. Und das passiert dann in dem Moment bei Menschen in einer autistischen Stressreaktion. Man sagt auch: „autistischer Ausbruch“, „Zusammenbruch“.
Was äußerlich oft aussieht wie ein Wutausbruch. Aber nicht das Gleiche ist. Weil, wenn ich wütend bin, dann bin ich ja interessiert, dass Menschen irgendwie mitbekommen, dass ich grad sauer bin. Und wenn ich einen autistischen Burnout oder einen Meltdown hab, dann krieg ich kein Publikum mehr mit. Dann hab ich keine Wahrnehmung von Publikum. Ist mir alles egal. Ich bin einfach nur am Zusammenbrechen.
Und im Burnout wird dann so ein Dauerzustand beschrieben. Der dann direkt in die Depression, in die schwerwiegende Depression führen kann. So wurde es mir beschrieben.
Jochen Gertejanßen: Ja, das finde ich ganz nachvollziehbar. Und das ist… Also in der Psychiatrie haben wir es ja nun damit zu tun… Also, ich arbeite ja mit Erwachsenen, die tatsächlich in den allermeisten Fällen diese Diagnose zu dem Zeitpunkt, wenn sie zu uns kommen, eben noch nicht haben. Und auch häufig gar nicht den Verdacht haben, dass es irgendwie so sein könnte. Es ändert sich jetzt tatsächlich. Ich glaube, das hängt einfach auch mit der medialen Aufmerksamkeit einfach zusammen für das Thema. Aber häufig sind es natürlich Menschen, die erst mal Symptome eines depressiven Syndroms schildern.
Und auch Symptome, die dann teilweise nicht so gut zuordnungsfähig sind. Also, wie ich vorhin sagte, halt so diese PTBS-Symptomatik. Teilweise eben auch Sachen, die im ersten Moment wie so dissoziative Reaktionen aussehen. Wie man sie bei Menschen mit einer schweren PTBS halt kennt.
Mirjam Rosentreter: Was ist damit genau gemeint? Also PTBS ist ja posttraumatische Belastungsstörung. Und Dissoziation: Was bedeutet das?
Jochen Gertejanßen: Ja, das bedeutet im Prinzip, dass das Bewusstsein sich zumindest partiell aus dem Umfeld abschaltet. Also, dass die Wahrnehmung und das Bewusstsein sich voneinander abgrenzen. Das ist im Grunde eine ganz, ganz tolle Einrichtung. Die das menschliche Gehirn halt eben dann machen kann, wenn eine Situation, die man gerade erlebt, unaushaltbar ist. Dann führt es irgendwann also bei fast jedem Menschen dazu. Zumal die Frage: Wie schwerwiegend muss die Situation sein? Und wie resilient ist der Mensch, den es da trifft? Also, wie widerstandsfähig ist er. Führt es halt zwangsläufig irgendwann tatsächlich dazu, dass die Menschen ihr Bewusstsein abschalten. Weil, sie sind dann quasi nicht mehr erreichbar.
Und das ist tatsächlich ein großer Unterschied zu der autistischen Stressreaktion. Also, dann in dem Fall, wäre es ja der Shutdown: Die klassische autistische Stressreaktion.
Mirjam Rosentreter: Wenn sie einfach verstummen.
Jochen Gertejanßen: Genau. Weil, im Shutdown kriegen die Menschen alles um sie herum noch mit. Was ja im Sinne einer Dissoziation völliger Quatsch wäre. Weil die macht ja dann im Prinzip das – Freud würde jetzt sagen: Das Unterbewusstsein. Wahrscheinlich ist es das auch. Oder irgendeine andere Struktur im Gehirn macht es. Eben das Bewusstsein abzuschalten. Um genau das nicht mehr zu erleben, was im Umfeld passiert.
0:49:14
Mirjam Rosentreter: Das heißt, wenn Eltern dann oder Angehörige, die irgendwie dabei sind, auch begleitend in der Schule bei so einem Shutdown bei einem autistischen Kind, dann weiter auf das Kind einwirken. Und Ratschläge haben und so. Das hilft nicht. Das macht es noch schlimmer? Weil das alles auch beim Kind dann zusätzlich noch ankommt?
Jochen Gertejanßen: Ja, genau. Und ich kenne Beispiele, wo autistische Kinder, bei denen man das eben nicht wusste – aber wäre wahrscheinlich in der Zeit auch ziemlich egal gewesen, ob man es gewusst hatte oder nicht – dann in so einer autistischen Stressreaktion, in so einem Wechsel aus Shutdown und Meltdown, in der Kinder- und Jugendpsychiatrie fixiert wurden. Was natürlich für ein Kind in einer autistischen Situation, also in einer autistischen Stressreaktion eine absolute Katastrophe darstellt.
Marco Tiede: Das ist ja dann wieder ein Trauma, was dem beigefügt wird.
Jochen Gertejanßen: Maximales Trauma, ja.
Marco Tiede: Für mich ist dann ja nochmal das Thema spannend. Also, das eine ist ja, dass viele Menschen im Spektrum, die dann lange nicht erkannt wurden, inzwischen dann auch diverse Traumata mit sich bringen. Zum einen durch, ja eigentlich die fast, ich sag mal, „geburtgegebene Bindungsstörung“, in Anführungsstrichen. Also dem, was Bianca zum Beispiel auch immer wieder benannt hat. Mit dieser fehlenden „gattungsspezifischen Referenz“. Ich glaube, das hatte sie auch von Feuser mal so zitiert.
Mirjam Rosentreter: Unser erster Podcast-Gast, Bianca Bräulich. Die auch Vorträge dazu hält.
Marco Tiede: Und das heißt ja: Wenn ich keine gattungsspezifische Referenz habe, habe ich ja keine Idee davon, dass ich als Wesen, als Mensch, irgendwas mit meinem Mitmenschentum drumherum zu tun habe.
Also heißt, ich bin schon mal in der Hinsicht bindungsgestört. Was ja schon erste Traumata anstoßen könnte. Dann diese genannten Unverständnisse, die uns immer wieder begegnen. Bis hin dann zu massiven Ausgrenzungen und Mobbing mit Gewalterfahrungen. Die dann immer nochmal die Traumata aufsummieren.
Und dem gegenüber… Das ist so ein Thema, was mich gerade noch ein bisschen umtreibt. Wo ich versuche, in nächster Zeit nochmal ein bisschen tiefer einzutauchen. Um das mal vielleicht ein bisschen besser voneinander unterscheiden zu können. Wenn das überhaupt machbar ist. Was das eigentlich ist, wenn Leute lediglich trauma… was heißt „lediglich“ – schon von vornherein traumatisiert durchs Leben gehen. Durch Kriegserfahrung. Durch Fluchterfahrung. Wie wir häufig auch im Autismuszentrum antreffen. Die dann also mit einer Autismusdiagnose kommen. Wo man dann nicht genau weiß: Ist das in dem Sinn klassischer Autismus? Also nicht anders erklärbar. Oder ist das autistisches Verhalten aus einer Traumareaktion heraus?
Jochen Gertejanßen: Oder beides.
Marco Tiede: Oder beides. Das kann auch passieren, ja.
Jochen Gertejanßen: Und was ja relativ häufig ist: Also, wenn ich davon ausgehe, dass tatsächlich der überwiegende Teil der autistischen Menschen… Also, „alle“ wäre jetzt vermessen, das zu sagen. Aber ich glaube schon, dass der überwiegende Teil autistischer Menschen in seinem Leben mehr oder weniger oft traumatisiert wurde. Dann kann das unter Umständen immer auch in der Folge zur Ausbildung von einer posttraumatischen Belastungsstörung führen. Das kann sein. Das ist halt immer nur die Frage: Was passiert, was jetzt gerade das triggernde Element ist? Was die Dinge wieder auslöst? Das macht es so schwierig. Und damit ist es nicht einfacher.
Und vor allem wird man den Menschen nicht gerecht. Wenn man an der Stelle versucht, ein klares Entweder-oder zu postulieren. Ich glaube, das ist auch so eine Schwierigkeit tatsächlich in der Branche. Dass man… Also der ICD-10, der ja nun glücklicherweise hoffentlich bald mal abgeschafft wird, der…
Mirjam Rosentreter: Also das Manual zur Diagnose psychiatrischer Erkrankungen…
Jochen Gertejanßen: Merci! (Lachen) Der sagt an der Stelle relativ klar, dass es ausgeschlossen sein muss, dass die Symptomatik, die ich sehe, die einem autistischen Syndrom erst mal ähnelt, durch eine andere psychische Störung ausgelöst wurde. Das ist nun ein ganz großes Feld. Weil, ja, es kann natürlich sein, dass das, was ich da sehe, vielleicht eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung ist. Also etwas, was nicht ein isoliertes Trauma hat, sondern irgendwie sich über die Jahre, Jahrzehnte entwickelt hat. Durch eine fortgesetzte Traumatisierung. Vielleicht eine sehr frühkindliche Traumatisierung. Und dann am Ende ein ähnliches klinisches Bild ergibt. Nur, ich kann das im Endeffekt ja nie wirklich sagen. Was ist Huhn und was ist Ei an der Stelle? Und ich glaube, das ist auch relativ egal.
0:54:13
Marco Tiede: Ich glaube, die Frage kommt für mich deswegen auf. Weil ich manchmal unsicher bin, ob wir dann zum Beispiel einem Menschen, der jetzt als Autist zu uns kommt oder als Autist diagnostiziert ist. Und wir versuchen jetzt so mit unseren autismusspezifischen Förderungsmöglichkeiten da Voraussetzungen zu schaffen. Irgendwie in dieser durchschnittlich strukturierten Welt, wenn man es mal so nennen will, zurechtzukommen. Also, was ja immer so eine Grenze ist zu… Mir liegt es ja immer fern, die Menschen umerziehen zu wollen. Damit sie sogenannt „neurotypisch“ funktionieren. Sondern ich versuche ihnen ja ein Verständnis mitzugeben.
Aber gleichzeitig, wenn sie denn nicht autistisch sind. Sondern, ich sag mal, „nur“ traumatisiert? Wahrscheinlich gibt es keine reinen Formen. Aber dann bräuchten sie ja vielleicht ein ganz anderes Förderungssetting. In dem wir gucken, dass wir sie eher bestärken im Selbstwert etc. Ich weiß nicht, weißt du, worauf ich hinauswill?
Jochen Gertejanßen: Das kann ja erstmal niemandem schaden.
Marco Tiede: Das sowieso. Das ist ja auch mit auf der Agenda in der Autismusförderung. Dass wir am Selbstwert arbeiten, klar.
Jochen Gertejanßen: Ja, das sind ja so zwei Stränge. Das eine ist das Behandeln einer akuten Symptomatik. Also insbesondere die psychotherapeutische Behandlung einer akuten Symptomatik. Selbstwertsteigerung, Stabilisierungsverfahren, Imaginationsverfahren und so weiter. Die man in der Traumatherapie insbesondere einsetzen würde.
Und das andere hat dann ja eher was mit dem Thema Psycho-Edukation zu tun. Also der Erklärung dafür: Warum bin ich eigentlich so, wie ich bin? Und warum verstehe ich solche Dinge so, wie ich sie verstehe? Und warum gibt es daraus Missverständnisse? Und das kann einem eben unglaublich gut helfen. Aber auch eher auf lange Sicht. Mir selber zu erklären, was im Leben eigentlich passiert ist. Was in meinem Leben eigentlich passiert ist.
Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass wenn Menschen, auch teilweise tatsächlich im höheren Alter… Also die älteste Patientin, die ich diagnostizierte, die war Mitte 50. Die dann in dem Alter die Diagnose eines Autismus-Spektrums bekommen hat. Die dann in der Folge wirklich immer mehr so sagt: Okay. Deswegen ist das damals so und so gewesen. Mir ist jetzt gerade so eine Situation eingefallen wieder. Da war ich Anfang 20. Da habe ich das und das erlebt und habe fürchterlich einen auf die mütze gekriegt deswegen irgendwie kann ich ihnen das mal erzählen kann das sein dass das irgendwie dass ich das gar nicht genau das konnte ja gar nicht verstehen das konnte nicht gut funktionieren.
Mirjam Rosentreter: Ich würde mit euch beiden gerne mal dieses weite Feld, was ihr gerade sehr intensiv beackert habt, ein bisschen verlassen. Und wieder auf deinen Lebensweg zurückkommen. Du hast ja vorhin schon angedeutet, dass dein Lebensweg nicht ganz so geradlinig verlief. Ich habe mal geschaut, du bist ja auch in so beruflichen Netzwerken drin. Also, dein Medizinstudium liegt ja schon etwas länger zurück. Das war in den 90er Jahren. Und bevor du deine erste Stelle als Arzt angetreten hast, hast du dann 20 Jahre was vollkommen anderes gemacht. Und eine Firma, offensichtlich für Klima- und Sanitärtechnik, geleitet. Die Gertjejanssen GmbH.
Marco Tiede: So? Sehr zukunftsweisend!
Mirjam Rosentreter: Ja, also…
Marco Tiede: Da könntest du heute noch richtig was werden, oder?
Mirjam Rosentreter: Also, ich weiß nicht, ob es ergiebig ist zu fragen: Wie kam es denn dazu? Aber ich frag‘ mal…
Jochen Gertejanßen: Also, was ich vorhin sagte zu meiner Familie war, dass zumindest meine Eltern ja immer unglaublich tolerant waren. Und wirklich eigentlich uns haben immer so sein lassen, wie wir wollten. So, das war gut. Das war gut. Gleichzeitig ist es aber eben auch eine Familie gewesen, die traditionell, ich glaube seit 1910 irgendwie… Angefangen mit Schmiedebetrieb, über Heizung, Bäder, Elektro. Und so das ganze Spektrum irgendwie der Haustechnik abdeckte.
Und als ich mein Studium fertig hatte, das war irgendwie ich glaube 1995, 1996 oder so. Und dann verzweifelt versucht habe irgendwie einen Job zu kriegen. Was damals gar nicht so einfach war. Weil, das war so diese Zeit der Ärzteschwemme. Die Kliniken haben keine freien Plätze gehabt damals. Das war… Ich glaube, ich habe um die 80, 90 Bewerbungen geschrieben damals. In relativ kurzer Zeit. Habe eine einzige Einladung zu einem Vorstellungsgespräch gekriegt. Tatsächlich nur eine. Ich habe kaum Rückmeldungen gekriegt. Das kann man sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen. Und das eine Vorstellungsgespräch war auch nur so, weil… Der sagte irgendwie: Wir sind uns schon mal über den Weg gelaufen! Ich wollte dich gerne mal wiedersehen. Das war auch total nett, aber… (Lachen).
Mirjam Rosentreter: Ist da nichts draus geworden?
Jochen Gertjejanßen: Aber ich habe leider gar keine freie Stelle! Genau.
Naja. Und zeitgleich ging es halt meinem Vater mit seiner Handwerksfirma nicht so gut. Sodass ich da so ein bisschen aufgrund von Langeweile so Marketing gemacht habe. Und mir überlegt habe: Was kann man da anders machen? Und dann habe ich ein Bäder-Studio eröffnet. Also Klos verkauft. Und alles Drum und Dran. Und das war auch ziemlich gut.
Und tatsächlich kam mir da, glaube ich, auch so ein bisschen so meine medizinische Ausbildung zugute. Ich habe so recht viel im Bereich barrierefreie Bäder gemacht. Habe da in den letzten Jahren…
Mirjam Rosentreter: (schmunzelt) Ach so! Ich dachte gerade: Leitungen und Bahnen und verstopfte Gefäße und so.
Jochen Gertejanßen: Das auch! Das sowohl als auch! (Marco lacht)
Also, ich glaube: Wer ein Herz-Kreislauf-System versteht, versteht auch das Pumpensystem an der Heizungsanlage. Und andersrum. Also, zumindest annähernd. Und ja, so ging das dann weiter. Und das habe ich dann fast 20 Jahre lang gemacht.
Irgendwann ging es dann nicht mehr. Weil diese Firma immer größer, immer größer, immer größer wurde. Und ich zwar ganz prima irgendwie sabbeln und verkaufen konnte. Das kann ich glaube ich immer noch. Aber das hat halt eben ansonsten an vielen Stellen einfach nicht gut hingehauen. Und vor allen Dingen die Größe war dann irgendwann so, dass es Riesenprojekte waren. Die mir um die Ohren geflogen sind.
Und ja, dann war ich irgendwann… Stand ich irgendwann vor der Situation mir zu überlegen, als ich mit einem Herzinfarkt auf dem Herz-Katheter-Tisch eines Kardiologen lag: Mache ich das jetzt weiter?
Damals war mein Sohn gerade unterwegs. Das war 2015, genau. Mache ich das jetzt weiter? Oder…
Mirjam Rosentreter: Der jüngere Sohn.
Jochen Gertejanßen: Ja, genau. Und habe dann beschlossen: Nee. Das mache ich nicht. Das geht nicht. Das bringt mich um, wenn ich das so weitermache.
Und ja, dann kam irgendwie so eine ziemlich lange Zeit des Abwickelns dieser Firmen. Was dann halt immer so mit dran hängt. Irgendwie sehr schwierige Wege. Auch schwierige Lebensphasen. Ging eine ganze Zeit lang. Ja, und dann aber auch irgendwie so die Einsicht darüber: Ich habe ja mal was Vernünftiges gelernt. Vielleicht geht das jetzt ja!
Zu dem Zeitpunkt war mir überhaupt nicht klar, dass es deutlich einfacher ist, im Jahr 2016 einen Job als Arzt zu finden als im Jahr 1996. Aber tatsächlich: Es war deutlich einfacher. Und die erste Bewerbung, die ich geschrieben habe, führte sofort zum Vorstellungsgespräch. Ich dachte: Häh? Kann doch gar nicht sein. Und schwupps hatte ich einen Job.
Marco Tiede: Das war gleich in der Ameos damals?
Jochen Gertejanßen: Nee, das war erst im Klinikum Bremen-Ost. Und ich bin dann nach einer gewissen Zeit in die Heines-Klinik. Hieß sie ja damals noch so. Aber an die Heines-Klinik gewechselt, genau.
Mirjam Rosentreter: Und wie war das für dich? Also, der Beruf des Arztes gilt ja auch als ein Stressberuf schlechthin. Also, ganze Fernsehserien bauen auf dem Konzept der Überforderung und Loyalität im gemeinsamen Leiden. An diesem immensen Druck, unter dem man da täglich steht.
1:02:58
Jochen Gertejanßen: Ja, das war auch etwas, was ich tatsächlich mit großem Respekt irgendwie dann wieder begonnen habe. Insbesondere, weil ich natürlich 20 Jahre mehr oder weniger raus war aus dem Job. Abgesehen davon, dass ich mich vielleicht selber so weitergebildet habe und mich informiert habe, was so möglich war. Aber ich habe ja halt nicht gearbeitet. Und dann so wieder bei fast Null anzufangen. Mit zu dem Zeitpunkt Ende 40. War schon ein Brett, ja.
Marco Tiede: Glaube ich.
Jochen Gertejanßen: Also, ich kann mich noch gut an das Gefühl erinnern, als ich meinen ersten Nachtdienst antrat. So mit dem Gefühl: Jetzt bin ich hier für so eine Klinik allein verantwortlich. Das war schon echt ein tiefes Durchatmen.
Aber was ich gelernt hatte die Jahrzehnte davor, war natürlich: Entscheidungen zu treffen. Und da auch nicht lange drüber nachzudenken. Sondern auf der Basis dessen, was ich gerade weiß, einfach eine Entscheidung zu treffen. Und es zu machen. Und toi, toi, toi, ist glaube ich meistens gut gegangen. Eigentlich glaube ich, ziemlich immer. Hoffe ich.
1:04:14
Mirjam Rosentreter: Und wann ist dir dann bei deiner Arbeit in der Medizin als Arzt zum ersten Mal ein autistischer Mensch bewusst begegnet? Wo du so ein Aha-Erlebnis hattest?
Jochen Gertejanßen: Das kann ich, glaube ich, gar nicht so genau sagen. Rückblickend fallen mir da welche ein. Also, was mich immer ein bisschen umgetrieben hat… Ich glaube, und das geht, glaube ich, vielen, die in der Psychiatrie arbeiten oder in der Psychotherapie arbeiten, auch so, dieses: Man arbeitet mit Syndromen. Also, man beschreibt im Prinzip das Symptom eines Menschen.
Wenn ich von Depressionen rede, dann ist Depression erst mal auch nichts anderes als ein Zusammengewurschtel verschiedener Symptome…
Mirjam Rosentreter: Die man von außen beobachtet.
Jochen Gertejanßen: Die man von außen beobachten kann. Die aber natürlich auch eine Innensicht eines Patienten oder eines Menschen widerspiegeln. Und die dann zusammengefasst irgendwie eine Depression ergeben. Aber das ist ja die Beschreibung eines Zustandes, den ich gerade in dem Moment wahrnehme, sehe. Und den ein Mensch bei sich selber wahrnimmt.
Und dieses Darumrätseln: Wo kommt denn so eine Depression einfach her? Eigentlich her. Das war mir immer irgendwie merkwürdig. Und ich habe für mich immer gedacht: Irgendwie muss es Gründe dafür geben. Also, dieses Bild, was es ja auch mittlerweile so nicht mehr gibt… Aber dieses alte Bild von dieser endogenen Depression: Ja, manche Menschen sind halt einfach depressiv. Oder diese Dysthymia, die es immer noch als Krankheitsbild gibt.
Marco Tiede: Also endogen – meinst du dann diese Depression, die nur von innen heraus, aus der eigenen Biochemie kommt.
Jochen Gertejanßen: Irgendwie. Aber keiner weiß wie. Genau.
Marco Tiede: Bestimmte Botenstoffe ausgeschüttet oder nicht ausgeschüttet. Und dann Bääm: Ist das schwarze Loch, der schwarze Hund auf der Brust.
Jochen Gertejanßen: Genau. Und die Menschen kommen da irgendwie nie raus. Und es gibt diese Geschichten ja tatsächlich von Menschen, die über viele, viele Jahrzehnte durch diese Depressionen durchgehen. Und man sucht und sucht und sucht. Und findet irgendwie nix. Und man probiert die Pille und die Pille. Und macht noch andere Dinge. Und es funktioniert irgendwie alles nicht.
Und das hat mich immer ziemlich frustriert. Weil ich das auch nicht so richtig… Das hat mich nicht zufrieden gemacht.
Und ich glaube, das ist tatsächlich ein nicht unerheblicher Teil von Menschen, die ich mit diesen langjährigen depressiven Geschichten kennengelernt habe. Wahrscheinlich auch Menschen, die sich in irgendeinem Spektrum bewegen. Was nie diagnostiziert wurde. Und dann einfach so auf dieser jahrzehntelangen Depri-Schiene liefern, sage ich jetzt mal despektierlich.
Marco Tiede: Ja, klar.
Jochen Gertejanßen: Also so der Klassiker ist ja irgendwie: Frau, depressiv irgendwie, und dann ist es das unerkannte ADHS. Weil, ADHS erkennt man bei Frauen häufig einfach nicht so einfach. Wenn man nicht die richtigen Fragen stellt.
Mirjam Rosentreter: Und in welchem Moment kam dir dann zum ersten Mal der Gedanke, mein eigener Sohn, also war es dann der jüngere Sohn, könnte autistisch sein?
1:07:32
Jochen Gertejanßen: Ja, das waren schon so die Schwierigkeiten in der Kontaktaufnahme. Insbesondere mit anderen Kindern. Das war, da kamen die Gedanken zum ersten Mal. Dann waren es auch so Sachen… Und die haben uns erst, oder nicht uns, sondern letztlich auch durch Experten, die es vielleicht gut meinten an der Stelle, auf die falsche Fährte geführt. So ein ausgesprochen hochentwickeltes Sprachvermögen. Was beide Söhne im Übrigen haben. Was vielleicht Eltern dann auch nicht so auffällt, die selber gerne sabbeln. Und selber gerne zuhören. Und sich selber gerne in komplizierte Satzgeflechte verstricken.
Marco Tiede: Bisschen eher gespiegelt (schmunzelt).
Jochen Gertejanßen: Die finden das dann eher toll. Und denken sich: Der Junge kommt nach mir. Super! Aber, dass das vielleicht tatsächlich auch so ein Ausdruck von einer bestimmten Art der Wahrnehmung, einer bestimmten Art des Denkens ist. Das kommt einem natürlich erst nicht. Sondern vielleicht erst im Verlauf der Zeit. Und so Dinge wie: sensorische Besonderheiten. Gerüche, die unaushaltbar waren, für beide Kinder. Gewisse Texturen, die nicht gingen. Schon so Sachen, wo man rückblickend sagt: Klar! Das war es!
Das weiß ich bei mir selber auch. Ich habe nie in meinem Leben Wolle am Körper ertragen können. Ging nicht. Es geht nur mit einem Baumwoll-T-Shirt drunter. Aber ich kann auch keine Kunstfaser an meinem Körper ertragen. Das sind so Sachen, die mich aber nie groß stutzig gemacht haben. Sondern ich habe mir immer gedacht: Das wird schon gehen.
Ich kann mich noch an so eine Situation erinnern: Wo meine Mutter meinte, mich zu Weihnachten in eine Tweed-Hose stecken zu müssen.
Marco Tiede: Uuh!
Jochen Gertejanßen: Die war auch neu gekauft. Und die war bestimmt ganz schick. Und ganz topmodisch. Ich habe mich nie wieder danach und davor in einem Kleidungsstück so schrecklich gefühlt wie da! Das war ein ganz, ganz schreckliches Weihnachten. Das weiß ich noch. Weil ich diese Hose tragen musste. Bis ich sie irgendwann wieder ausziehen durfte.
Marco Tiede: Ja, grauenvoll.
Mirjam Rosentreter: Wie seid ihr dann mit solchen Situationen bei den eigenen Kindern? Das Kind will dieses und jenes partout nicht, verweigert sich. Da kommen wir nicht weiter! Die dann so Stress auslösen im Familienalltag. Wo vielleicht mal was schnell gehen muss. Wie seid ihr denn damit umgegangen, bevor euch klar war, Autismus könnte dahinter liegen?
Jochen Gertejanßen: Ich glaube, dass meine Frau und ich aufgrund einfach unseres eigenen Lebens und unserer eigenen Erfahrung, die wir mit unseren eigenen Besonderheiten und Bedürfnissen gemacht haben, vieles an der Stelle zugelassen haben. Zwar schon immer versucht haben zu erklären: Okay, das wäre jetzt vielleicht an der und der Situation aber ganz schlau, das so und so zu machen. Weil. Aber eigentlich nie wirklich versucht haben, da Druck auszuüben.
Und vielleicht ist das auch der Grund, warum mein großer Sohn… Der hat bis zum 17. Lebensjahr gewartet, bis er die Diagnose gekriegt hat. Also vielleicht war es dann einfach auch der Grund, warum es so lange gedauert hat.
Mirjam Rosentreter: Wieso sagst du „gewartet“?
Jochen Gertjejanßen: Hab ich „gewartet“ gesagt?
Mirjam Rosentreter: Mmh!
Jochen Gertjejanßen: Der hat bis zu seinem 17. Lebensjahr gewartet. Naja, weil, als er die gekriegt hat, ähm, er so sagte: Mmh. Okay. Dann weiß ich das jetzt. Jo, gut. Wusste ich ja eigentlich auch schon.
Marco Tiede: Also, für ihn hat es nicht so eine große Rolle gespielt. Und er hatte nicht den Leidensdruck, den manch andere haben. Oder wie kann man das verstehen?
Jochen Gertejanßen: Leidensdruck hat er auch. Und… Also, er spielt eine relativ große Rolle auch in einem Film der hier auch überwiegend in Bremen gedreht wurde: „Autismus, das rätselhafte Spektrum.“ Eine Arte-Doku. Und da wird das relativ gut deutlich. Sowas einfach auch diese Probleme sind. Die, die da eine Rolle spielen. Und dass… Er sagt so einen Satz in diesem Film. Den finde ich, finde ich total passend so. Er sagte: Maskieren zu können, ist ja eigentlich schon ziemlich geil. Und das bewusst zu können, ist eigentlich noch viel geiler. Aber es ist einfach auch unendlich anstrengend.
Marco Tiede: Ja.
1:11:54
Mirjam Rosentreter: Ich habe das im Nachhinein, weil ich auch deine Frau ja kennengelernt habe nach dem Fachtag, durch sie erfahren. Dass der Jakob aus der Dokumentation euer Sohn ist. Und dann habe ich mir mal auf Instagram die Kommentarspalten dazu angeguckt. Zu dem Ausschnitt mit ihm.
Also es gibt so einen Ausschnitt auf Instagram, wo es nur um ihn geht. Da wurde das sehr differenziert diskutiert darunter. Und da ging die Diskussion so in zwei Richtungen. Vor allen Dingen einmal, wie anstrengend das wirklich ist. Dass das eben niemand sieht. Und das andere war, dass sie sich an dem Wort „hochfunktional“ gestört haben.
Und da schwingt eben immer so mit… Das habe ich auch damals im Gespräch mit Tebartz van Elst, als er hier bei mir im Studio saß, gesagt. Der hat auch den Begriff benutzt: „hochfunktional“. Da ist so der Umkehrschluss: Was bedeutet dann niedrigfunktional? Also, da macht man so im Autismus-Spektrum so eine Klassifikation auf von: funktioniert gut, funktioniert weniger gut. Und das ist so wertend. Das bildet so eine Hierarchie.
Ja, also, erlebst du das denn im Alltag dann mit? Also als Vater. Dass dein Sohn gerade „funktioniert“? Und ahnst du dann, was in ihm vorgeht? Und sagst dann auch mal: Hier, pass mal vielleicht auf. Du hast doch gestern schon… Heute vielleicht mal nicht so viel Dies und Das?
Ich glaube, das war das, was Jakob an der Stelle sagen wollte. Eigentlich. Und was vielleicht dann an der Stelle auch in diesen Kommentarspalten teilweise auch ein bisschen…
Marco Tiede: Missverstanden wurde.
Marco Tiede: Ja. Und gleichzeitig auch zu merken, dass das sich von Tag zu Tag unterscheiden kann. Es kann sein, dass ich gestern mehr geschafft habe. Und heute es aber nicht schaffe, weil die Energie dafür nicht reicht. Aber vielleicht meint er dann mit dieser sogenannten Hochfunktionalität eher auch dieses hohe Maß an Selbstwirksamkeit. Das er für sich spürt. Und das ist ja das, was ich ja im Prinzip auch jedem Menschen, der zu uns in die Therapie kommt, mitgeben will: ein größtmögliches Maß an Selbstwirksamkeit. Und demzufolge auch Zufriedenheit.
Jochen Gertejanßen: Ja. Ja, genau.
1:15:36
Mirjam Rosentreter: Wie kriegt ihr das denn als Eltern hin? Euren Kindern auch zu vermitteln, wenn ihr vielleicht mal Rücksichtnahme braucht?
Jochen Gertejanßen: Mal mehr, mal weniger. (Lachen) Wenn die beiden das jetzt irgendwann demnächst mal hören, ähm…
Ein Stück weit ist es natürlich die Aufgabe von uns Eltern, solche Wege mitzugehen. Und solche Wege auch zu tragen. Und es ein Stück weit auch tatsächlich auszuhalten. Und durchzuhalten. Das ist mal leichter, mal schwerer.
Es gibt Phasen, die sind einfach alles andere als witzig.
Und dann gibt es aber schon auch so Situationen, dass auch ein neunjähriges Kind zu einem sagt: Dir geht‘s heute nicht gut, oder? Ich dann sage: Nee. Genau: Mir geht es heute nicht gut. Okay, dann mache ich jetzt was anderes.
Diese Situation gab es. Aber natürlich vielleicht nicht so oft, wie man es bräuchte. Stimmt.
Aber auch das ist natürlich dann unsere Aufgabe: Sowas zu versuchen, eben klar zu machen. Deutlich zu machen. Und eben nicht über eine massive soziale Anforderung zu vermitteln. So von wegen: Du gehst jetzt in dein Zimmer und spielst alleine! Oder so. Sondern es zu vermitteln. Es zu erklären. Auch wenn es noch so schwierig ist, auch wenn es noch so anstrengend ist.
Marco Tiede:
Oder eben dann positiv rückzumelden. Wenn dann diese eigene Auffassung darüber zum Ausdruck gebracht wird: Ich glaube, dir geht es heute nicht gut. Also das hatten wir auch schon mehrfach bei einigen Gesprächspartnern. Die gesagt haben: Wie hellfühlig manchmal unsere Kinder sind! Und dann doch schon gut mitkriegen. Im Gegensatz zu diesen ganzen verbreiteten Klischees. Der vermeintlichen Empathielosigkeit. Hatten wir auch schon mehrfach erläutert. Den Unterschied zwischen emotionaler und kognitiver Empathie. Aber: Emotional sind sie so hellfühlig! Und kriegen alles mit.
Marco Tiede: Ja, das entlastet einen. Weil, diese Selbstbevorwürfung, die du gerade genannt hast. Die kenne ich auch gut. Also, dass ich häufig zu hart, zu ungerecht, zu viel, zu unverständnisvoll war.
Jochen Gertejanßen: Ja, und wir machen es ja häufig einfach nur deshalb, weil wir selber an uns diese soziale Anforderung wahrnehmen. Weil wir glauben, nicht nur wir müssten funktionieren in dieser hochfunktionalen Welt. Sondern eben unsere Kinder auch. Und ja auch ständig mit diesen Anforderungen, mit diesen Wünschen, mit diesen Dingen konfrontiert werden. Sei es im Kindergarten, in der Schule, in jedem Supermarkt. In jeder sozialen Situation. Und immer, permanent ja auch an unsere eigenen Grenzen kommen. So wie wir das vorhin ja auch gesagt haben. Diese Selbstentwertung: Ja, jetzt hab` ich wieder irgendwas falsch gemacht. Ihr habt mich wohl falsch erzogen. Oder so. Das schießt einem ja wirklich täglich durch den Kopf. Und das ist so vergiftend ja auch für die Beziehung zu den eigenen Kindern an der Stelle. Das ist schon schrecklich.
1:19:23
Mirjam Rosentreter: Was rätst du Eltern: Wie können sie das anbahnen, dass ihre Kinder so leicht quasi diesen Weg der Diagnose gehen? Wenn sie den Verdacht haben, dass bei ihrem Kind Autismus eine Rolle spielen könnte?
Jochen Gertejanßen: Naja, das ist schwierig. Weil da einfach Angebot und Nachfrage in einem krassen Missverhältnis stehen in diesem Land. Es gibt viel zu wenig KollegInnen. Die bereit sind, sich auf dem Gebiet zum einen inhaltlich zu öffnen. Also dieses Thema Neurodivergenz irgendwie openminded zu betrachten. Ja. Viel zu wenig. Und die paar, die es gibt…
Und ich bin in so einer E-Mail-Intervisionsgruppe drin zum Thema Autismus und ADHS. Mit mittlerweile, ich glaube, über 1.000 Mitgliedern. In Deutschland, Schweiz, Österreich. Das klingt viel: 1.000. Aber auf die ganze Menge von Fläche betrachtet, ist es halt einfach total wenig. Und die können alle nicht mehr. Die kriegen ihren Anrufbeantworter nicht mal mehr abgehört! Weil das Ding jeden Abend die Grätsche macht. Und das ist die Realität, mit der wir es gerade zu tun haben.
Marco Tiede: Also deine Frage zielt jetzt darauf, wie man zu einer Diagnostik kommt?
Mirjam Rosentreter: Nee, ich hab…
Marco Tiede: Oder auch: Wie vermittelt man das dem Kind?
1:21:38
Jochen Gertejanßen: Also wenn man selber den Verdacht hat, dass das so ist. Dann hat man den Verdacht ja wahrscheinlich deshalb, weil man sich damit schon irgendwie auseinandergesetzt hat. Sonst hätte man den ja nicht. Vielleicht, weil man diesen Podcast gehört hat. Oder irgendwie im Internet was gelesen hat. Einen Film gesehen hat. Oder ein Buch gelesen hat, oder so.
Und man muss ja dieses Wort nicht unbedingt benutzen. Aber man kann, glaube ich, auch kleineren Kindern schon irgendwie das Gefühl geben: Okay. Ich verstehe, dass das hier für dich an manchen Stellen schwierig ist. Und dass es da hakt. Und dass es nicht so gut klappt irgendwie. Vielleicht gibt es da auch Gründe für? Wir können ja mal zusammen überlegen, wie wir das irgendwie besser hinkriegen, und so.
Mirjam Rosentreter: Wie habt ihr das bei eurem jüngeren Sohn gemacht? Also wie habt ihr ihn aufgeklärt, ein bisschen so über Bande, über Autismus?
Jochen Gertejanßen: Zunächst haben wir es, glaube ich, so gemacht, wie ich es gerade gesagt habe. Und als die Diagnose dann stand – eigentlich schon davor – haben wir ihm das gesagt. Also wir haben ihm das Wort auch gesagt. Wenn ich Plattfüße habe, darf man mir auch sagen: Ich habe Plattfüße. Es ist so.
Mirjam Rosentreter: Da war er ungefähr sieben oder acht, wenn das zwei Jahre her ist.
Jochen Gertejanßen: Ja. Sieben Jahre.
Mirjam Rosentreter: Habt ihr das so nebenbei gemacht? Oder habt ihr euch vorher als Eltern überlegt: So. Heute machen wir es! Also irgendwie so: Wir müssen es irgendwie ihm beibringen! Also, was war das für eine Situation?
Jochen Gertejanßen: Also wir haben uns schon vorher gedacht, dass wir das relativ transparent machen sollten. Und auch diesen Begriff „Autist“ oder „Autismus“ jetzt nicht so vermeiden sollten. Aber da hat sich das irgendwie so ergeben. Ich weiß gar nicht mehr. Keine Ahnung, kann ich nicht sagen.
Mirjam Rosentreter: War da der Große auch mit dabei?
Jochen Gertejanßen: Du fragst mich Sachen?! (Lachen)
Mirjam Rosentreter: Wenn dir das zu privat ist, Jochen, dann sag!
1:23:14
Jochen Gertejanßen: Nee, das wäre mir jetzt nicht zu privat. Aber nee, ich glaube tatsächlich nicht. Also, Jakob hat seine Diagnose auch später gekriegt dann. Ähm. Ich glaube, bei dem Gespräch war er nicht dabei, nee. Aber, da haben sich natürlich dann daran ganz viele Gespräche noch entwickelt. Da kamen noch ganz viele hinterher. Klar, das ist so… Kann ihn ja mal fragen.
Mirjam Rosentreter: Also, das erzählen einfach immer wieder Eltern bei uns im Elternkreis, dass sie zögern, das dem Kind zu sagen. Oder eben auf den richtigen Moment warten. Irgendwie das Gefühl haben: Das kann das Kind noch gar nicht verarbeiten. Und hat überhaupt… Oder mit dem Kind vielleicht auch gar nicht richtig im Gespräch sein können. Also das gibt es ja auch: Dass das gar keine richtigen Dialoge mit dem Kind – gerade in so einer Krisensituation – möglich sind. Und dass das so eine ganz einseitige oder sehr eingeschränkte Kommunikation ist.
1:24:07
Jochen Gertejanßen: In der Krisensituation: Ja. Und da ist es ja, glaube ich, auch in den meisten Fällen einfach besser, in Ruhe gelassen zu werden.
Mirjam Rosentreter: Für das Kind, meinst du?
Jochen Gertejanßen: Für das Kind. Für den autistischen Menschen. Aber es gibt dann nachher normalerweise ein Fenster, wo man sowas nachbesprechen kann. Das ist ja kein Ausnahmeschockzustand. An den sich hinterher niemand erinnert, und den man nicht wiedergeben könnte.
Und unsere Söhne haben da ein relativ gutes Erinnerungsvermögen tatsächlich für diese Situationen. Und können das relativ gut reflektieren. Wenn man das zu einem Moment macht, wo es gut funktioniert. Also nicht in der Situation des Meltdowns.
1:24:56
Marco Tiede: Ja klar.
Jochen Gertejanßen: Das, das nicht, nee. Abwarten
Mirjam Rosentreter: Aber ist das nicht sowieso so, dass viele autistische Menschen so ein ziemlich gutes episodisches Gedächtnis haben? Also sich an Szenen ziemlich filmisch erinnern?
Jochen Gertejanßen: Hmmh.Ja so, wie alle Autisten einem nicht in die Augen gucken. (Marco lacht)
Mirjam Rosentreter: Du meinst, das ist für einige wenige.
Marco Tiede: Es kann sein. Aber es muss nicht sein.
Mirjam Rosentreter: Es kann sein. Ja, okay. Vielleicht bin ich da privat so geprägt.
Jochen Gertejanßen: Ja, also dieses Denken in Episoden und in Szenen. Das ist tatsächlich etwas relativ Autistischtypisches. Wobei das eben auch Menschen machen teilweise, die nicht autistisch sind. Das stimmt. Aber ich bemerke das auch relativ häufig. Und bei mir ist das auch eine relativ häufige Frage so im Diagnosegespräch. Also, wie man so Situationen vorplant, so wenn man in irgendein Gespräch reingeht, oder so. Und ich erlebe das oft bei autistischen Menschen, dass die dann sich das tatsächlich szenisch vorstellen. Inklusive der Dialoge im Kopf. Hin und her spielen, über Stunden teilweise. Und dann gehen sie in so ein Gespräch rein. Und das sitzt dann. Und dann kommt was anderes – das ist dann doof.
Marco Tiede: Gegenüber der Erfahrung, die du gemacht hast: Dass du dann das in entspannten Situationen mehr oder weniger deutlich vermitteln konntest. Transparent vermitteln konntest. Erlebe ich manchmal eben auch Kinder, die zu uns kommen ins ATZ. Die halt in Umfeldern unterwegs sind, wo Autismus tatsächlich ein sehr düsterer Stempel ist. Und die Kinder sich völlig dagegen verwahren. Und sagen: Damit habe ich nichts zu tun!
Und wenn ich dann mit denen die Diagnose durchgucke, in den Akten. Und der sagt dann: Kann ich das Papier da rausnehmen und zerreißen? Bin ich dann nicht mehr autistisch? Nein. Aber weil in manchen Umgebungen eben Autismus dann wie ein Schimpfwort benutzt wird: Ey, du bist doch behindert! Ey, du bist doch Autist! So. Und dann will ich mich natürlich in keiner Weise damit identifizieren. Das bringt dann manche Kinder eben vor ganz andere Problematiken. Die, mit denen wir zum Teil konfrontiert sind.
Das ist immer so tragisch. Weil, eigentlich könnten sie vieles über sich verstehen. Und lehnen das aber dann erst mal völlig ab. Und gleichzeitig passiert das ja auch manchmal in der Diagnoseannahme, dass man erst mal sagt: Ach so? Aha! Und irgendwann später: Ach komm! Geh mir weg damit! Nervt mich! Also dass das ja auch phasenweise sich verändern kann.
Jochen Gertejanßen: Das ist ja auch total nachvollziehbar. Und das bringt uns teilweise in der Klinik auch an echte Schwierigkeiten. Also ich kann mich an zwei, drei Fälle erinnern, wo die Menschen diese Diagnose auch nicht haben wollten. Und man dann eben auch so vor dieser Überlegung steht: Wie geht man damit jetzt um? Wir sind uns eigentlich total sicher, dass wir diese Diagnose vergeben könnten. Aber wenn der Mensch die nicht will? Dann bekommt er sie eigentlich auch nicht. Weil, das bringt ja nichts.
Das hat ja für den Menschen keinen Nutzen. Wenn wir jetzt irgendwelche Briefe produzieren. Wo etwas drinsteht, was zwar vielleicht formal richtig wäre. Wo der Mensch sich aber selber überhaupt nicht drin wiederfinden kann. Das ist auch ein großes Streitthema, ob man sowas machen darf oder nicht.
Aber ich glaube, dass wir MedizinerInnen dafür da sind, irgendwie nützlich für den Menschen zu sein, der zu uns kommt. Und wenn wir dann letztlich komplett das Gegenteil machen, bringt das ja auch nichts.
Mirjam Rosentreter: Da passt das Zitat, was du mitgebracht hast. Was ja der Claim der Weltgesundheitsorganisation ist: Dass Gesundheit eben ein Zustand ist, wo ein Mensch… Wie heißt es: „vollkommen im körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefinden“ sich befindet. Und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen eine Rolle spielt.
Aber, die Patienten, die bei euch sind, denen geht es ja in der Regel nicht gut. Das ist ja dann wahrscheinlich schon schwer, so jemanden zu entlassen. Ohne dass die Person die Chance hat, wie das jetzt unser letzter Podcast-Gast Anne Kirkham meinte: Sich auf den Weg zu machen, „sich besser kennenzulernen“.
Jochen Gertejanßen: Naja. Aber wenn nicht jetzt, dann vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt. Das kann ja durchaus sein. Und vielleicht habe ich durch diese Diskussion darüber ja trotzdem was angeregt und… Also mit Sicherheit habe ich was angeregt. Das bleibt ja hängen. Und ich glaube, dass es auch da darauf ankommt, wertschätzend zu sein. Und vor allen Dingen auch die Innensicht des Menschen zu sehen und zu respektieren. Und da vor allem auch Wert darauf zu legen: Was ist dem Menschen denn gerade wichtig? Und dieses WHO-Zitat – ja, ich benutze es gerne. Weil im Grunde, wenn man das natürlich wortwörtlich anwendet, gibt es glaube ich auf dieser Welt keinen einzigen gesunden Menschen. Aber das definiert ein Ziel. Und das Ziel ist ja eben nicht das Ziel vielleicht einer einzelnen Klinik. Oder eines Arztes, einer Ärztin. Oder eines Therapeuten im ATZ, oder wie auch immer. Sondern das sollte ein gesellschaftliches Ziel sein. Und das ist ja immerhin die WHO! Also die definiert gesellschaftliche Ziele.
Marco Tiede: Ja.
Mirjam Rosentreter: Wir kommen langsam zum Ende unseres Gesprächs. Aber ich will die Chance nutzen, dass wir hier einen Vater und Arzt sitzen haben. Und vielleicht am Schluss noch ein paar Tipps von dir mitnehmen. Die du nicht unterbringen konntest oder über die wir hinweggekommen sind. Deswegen noch so zwei, drei Fragen.
Das eine wäre: Wie kann man denn diese lange Wartezeit überbrücken, bis man überhaupt eine Diagnostik gefunden hat? Was ist da hilfreich?
Jochen Gertejanßen: Könnte ich jetzt Werbung für euch machen? Euren Podcast hören, zum Beispiel?
Mirjam Rosentreter: Gerne! (lacht)
Jochen Gertejanßen: Ja, wirklich. Ich glaube, dass sich dadurch unglaublich viel erklärt. Vielleicht auch nicht nur durch mein Gesabbel. Sondern vor allem durch die Menschen, die so eine lange Zeit bis zur Autismus-Diagnose durchgegangen sind. Und viel erlebt haben. Weil sich da, glaube ich, sehr viele darin wiederfinden können. So in diesen Biografien.
Ja, und natürlich lesen, sich informieren. Wobei auch das natürlich schwierig ist. Weil das ganze Thema – ich will jetzt hier gar nicht Werbung für einzelne Bücher machen. Das ist, glaube ich, nicht so sinnvoll. Eine tolle Autorin, Stefanie Meer-Walther, habt ihr neulich im Podcast gehabt. Das ist, glaube ich, alles großartig. Insbesondere, wenn es darum geht, dass Kinder irgendwann auch mal in die Schule gehen. Und sich darüber dann schon mal zu informieren. Und festzustellen, dass es in diesem Land echt ein Brett ist, so autistische Kinder in die Schule zu schicken. Eigentlich schon fast die Quadratur des Kreises.
Marco Tiede: Absolut, ja.
Mirjam Rosentreter: Und etwas niederschwelligere Therapiemöglichkeiten? Zum Beispiel Ergotherapie, Logopädie, so etwas?
Mirjam Rosentreter: Applied Behavior Analysis.
Jochen Gertejanßen: Ich kann mir das noch nicht mal merken, genau. Da sträuben sich mir irgendwie… alles so in mir.
Und vieles ist halt einfach auch eine Blackbox. Ich gebe mein Kind ab und hole es nach einer Stunde wieder raus und so. Und ich weiß jetzt gar nicht so richtig, was da passiert, wenn ich ein Kind habe, was ich gerne mitteile und sage, du, das war total beschissen da drin. Dann kann ich ja reagieren, aber wenn da nichts kommt, dann was soll ich denn machen?
Und ansonsten: Im Zweifel, auf das zu gucken, was dem Kind guttut. Und was es mir spiegelt, was ihm guttut. Es kann doch kein Fehler sein, die Dinge zu machen, die einem Kind guttun!
1:34:21
Marco Tiede: Und ich glaube, auch letztlich auf seine eigene Intuition zu vertrauen. Die ja häufig richtig liegt. Das erleben wir auch immer wieder im Elternkreis. Die sich dann so bestätigt fühlen. Das erlebe ich auch im ATZ. Dass manche Eltern dann doch so erleichtert sind, dass sie sagen: Okay. Dann bin ich ja doch nicht ganz auf dem falschen Pfad!
Mirjam Rosentreter: Habt ihr da als Eltern mal was ganz Ungewöhnliches herausgefunden oder ausprobiert, was sich als total hilfreich erwiesen hat?
Jochen Gertejanßen: Reiten geht gerade sehr gut.
Mirjam Rosentreter: Reiten?
Jochen Gertejanßen: Also therapeutisches Reiten. Und im Grunde fast alles, was mit Tieren zu tun hat, was mit Natur zu tun hat. Was ganz viel mit Draußen zu tun hat. Das tut ganz gut.
Mirjam Rosentreter: Christine Preißmann, die ja auch mit mir im Gespräch war, für den Extrapod, die sagte auch: Mit Tieren zusammen sein würde sie immer von allem runterholen. Die einfach nur zu beobachten. Weil die nichts von ihr wollen.
Marco Tiede: Das auch. Und ich glaube, Reiten ist ja insbesondere auch nochmal eine gute sensorische Erfahrung. Eine haptische Erfahrung.
1:35:28
Mirjam Rosentreter: Und was würdest du sagen, kann raus an die Welt? Jetzt kannst du deine Chance hier nutzen!
Marco Tiede: (lacht) Jetzt kommt der große Appell!
Mirjam Rosentreter: Was kann jeder, der da draußen durch die weite Welt läuft, im Alltag tun? Um den vielen, vielleicht unerkannten Menschen, die da in seiner Umgebung sind, die im Autismus-Spektrum sind, das Leben ein kleines bisschen zu erleichtern?
Jochen Gertejanßen: Ach, das ist ja eine echt große Frage, ne?
Mirjam Rosentreter: Ja und vor allen Dingen habe ich auch mal wieder formuliert: „das Leben zu erleichtern“. Was ja dann im Umkehrschluss… Da unterstelle ich ja, dass es per se ein schwieriges Leben ist. Das muss es ja nicht sein. Aber was… Also wenn du jetzt, das Haus verlässt und dich mit deinem Fahrrad in eine volle Bahn quetschen würdest. Und du würdest da eine Szene…
Jochen Gertejanßen: Mach ich nicht. (lacht)
Mirjam Rosentreter: Machst du nicht. Du fährst mit dem Fahrrad lieber noch einen Umweg, um eine Podcast-Folge zu Ende zu hören. (lacht)
Also hast du keinen Rat, den jeder beherzigen kann? Oder willst du keinen Rat rauslassen?
Jochen Gertejanßen: Ach, ich tu mich da gerade ein bisschen schwer mit. Vielleicht auch, weil es gerade auch eine total anstrengende Zeit ist. Und in so einer Zeit, in der wir insgesamt auch gerade leben. Wo ich das Gefühl habe, dass sich Dinge wie gegenseitiger, Respekt, Toleranz, Wärme, Wertschätzung, Menschlichkeit eigentlich gerade so Dinge sind, die irgendwie keinen mehr großartig zu interessieren scheinen. Und ich dadurch eben auch für das, was wir, glaube ich, an Arbeit leisten, ich mich gerade nicht ganz toll fühle. Ehrlich gesagt. So bei dem, was – auf der Welt sowieso – aber eben auch hier in Deutschland passiert. Zunehmend.
Und trotzdem. Wenn wir es alle hinkriegen würden, vielleicht einmal mehr zu lächeln als grimmig zu gucken. Und einmal mehr auf den anderen zu achten. Und zu schauen: Was könnte denn gerade sein Bedürfnis sein? Oder was ist denn das da gerade? Also ich finde es immer wieder erstaunlich, was man tatsächlich mit so einem Lächeln manchmal einfach macht, auslöst.
1:37:11
Marco Tiede: Absolut. Ich meine, das bedarf natürlich auch dessen, dass man sich seiner eigenen Anker bewusst ist. Also, dass ich mich von bestimmten dynamischen Prozessen entkopple, die da gerade irgendwie sich hochschaukeln. Und mir meiner eigenen Fähigkeit bewusstwerde, wie ich zu meiner inneren Balance zurückkomme. Oder sie erhalten kann. Und dann eben auch wohlwollend, wohlmeinend auf Menschen in jeder Hinsicht auch zugehen zu können. Und insbesondere natürlich auch auf unsere Kinder.
Mirjam Rosentreter: Ich hatte da gestern in der Straßenbahn so eine Situation. Wo ein Lächeln dann am Ende das Einzige war, was ich tun konnte. Da stieg eine Person ein, die offensichtlich eine Sehminderung hatte. Und da saß aber schon ein Mann mit ‘nem komplett einbandagierten Bein. Also Meniskusriss oder sowas. Und sie hat diesen Mann angepampt: Er möge mir bitte sein Bein beiseite nehmen. Sie würde sonst stolpern. Und so in so einem Ton. Und dann hat ein anderer Fahrgast gesagt: Sie möge doch bitte den armen Mann nicht so anmachen. Es wird ja jeder verstehen, dass Hindernisse für sie problematisch sind. Aber das könne man doch auch freundlicher sagen. Der Mann hat ja schließlich auch ein Problem. Vielleicht haben sie es nicht gesehen. Aber sein Bein ist bandagiert. Und dann hat sie sich total aufgeregt. Und es war niemandem mehr zu helfen. Das Einzige, was noch geholfen hat, war: Dem Mann, der sich eingemischt hat, auf eine sehr höfliche Art, zuzulächeln.
Jochen Gertejanßen: Es gibt ja auch so einen schönen Satz, den meine Frau irgendwo gefunden hat: Pick your battles! Also: Such dir deine Schlachten aus. In etwa. Und ich glaube, das gilt überall. Das gilt im Alltag. Das gilt aber eben auch im Umgang mit den eigenen Kindern. Dass man sich immer die Frage stellt: Ist es das jetzt gerade wert? Ist es das jetzt gerade wert, dass meine eigene Aufregung jetzt an der Stelle unbedingt raus muss? Hochkocht? Und ich das unbedingt umgesetzt und durchgesetzt haben will? Oder ist es nicht viel wertvoller, diesen Moment einmal gehen zu lassen? Und mir diese Kraft aufzuheben, dafür wo es wirklich entscheidend ist?
Mirjam Rosentreter: Vielen Dank Jochen! Das kann wirklich jeder für sich mitnehmen.
Jochen Gertjejanßen: Ja. (lacht)
Mirjam Rosentreter: Ich danke dir sehr für dieses Gespräch. Dir auch, Marco.
Marco Tiede: Kann ich alle so unterschreiben, ja.
Jochen Gertejanßen: Ich danke euch. Das war eine schöne, herzliche Einladung und sehr schön, mit euch zu sprechen.
Marco Tiede: Ja, ebenso.
Mirjam Rosentreter: Und wir sehen uns hoffentlich bald wieder. Also dich jetzt in unserem Elternkreis. Wo wir uns alle paar Wochen treffen, immer am letzten Dienstag im Monat, außer in den Schulferien.
Und euch danke fürs Zuhören. Wir freuen uns, wenn ihr das weitermacht. Und uns weiterempfiehlt. Und hier nochmal unsere E-Mail-Adresse, weil jemand gesagt hat, das müsst ihr vielleicht nochmal sagen. Man findet die nicht so schnell auf unserer Homepage. Da gibt es auch ein Kontaktformular, wo man direkt reinschreiben kann. Unsere E-Mail-Adresse, wenn ihr uns ein Feedback schreiben wollt, ist: hallo@spektrakulaer.de und mit ‚A E‘ geschrieben.
Da hat uns auch ein sehr nettes Feedback aus der Schweiz erreicht. Vielen Dank, lieber Ralph. Das Thema haben wir heute auch hier gehabt: Was macht man, wenn man vor sich einen Arzt sitzen hat, der sagt: Nee! Autismus kann das gar nicht sein! Aber das haben wir ja beantwortet. Also, Grüße gehen raus in die Schweiz. Hör uns weiter zu und erzähl es allen weiter, die uns verstehen können.
Marco Tiede: Und gern weiterhören.
Mirjam Rosentreter: Genau.
Marco Tiede: Tschüss.
Mirjam: Tschüss.
Jochen Gertjejanßen: Tschüss.
Outro
Musik
Sprecher: Das war Spektrakulär. Eltern erkunden Autismus.
Mirjam Rosentreter: Unsere Kontaktdaten und alle Infos zu unseren Folgen findest du in den Shownotes auf unserer Seite spektrakulaer.de.
Sprecher: Der Podcast aus dem Martinsclub Bremen.
Musikende
Sprecher: Gefördert durch die Heidehof-Stiftung, die Waldemar-Koch-Stiftung und die Aktion Mensch.
Sprecherin: In Zusammenarbeit mit Selbstverständlich, der Agentur für barrierefreie Kommunikation.
Ende
1:41:11
Quellen und weiterführende Infos zu den Themen in dieser Folge:
Hinweis: für Links zu externen Online-Quellen übernehmen wir keine Gewähr!
Zu Jochen Gertjejanßen, Oberarzt einer psychiatrischen Station in der Ameos-Klinik Bremen
Zum Fachtag – Was hat Neurodivergenz in der Psychiatrie verloren?
Fachtag vom 15.05.2025 in Bremen
https://www.ameos.de/klinikum-bremen/aktuelles/veranstaltungen/artikel/event-was-hat-neurodivergenz-in-der-psychiatrie-verloren/
Bericht bei „buten un binnen“ von Radio Bremen
Bremer Arzt über Neurodivergenz: „Viele geraten an ihre Grenzen“
Bericht der „taz“ zum Fachtag vom 27.05.2025
„Kein Hirn gleicht dem anderen“
Dokumentationen zu Neurodiversität
Zur Podcastfolge 5 mit Prof. Dr. Ludger Tebartz-van-Elst
„Autistische Menschen zeigen mir, was eigentlich für alle Menschen gilt.“
Gemeinsames Auftreten von Autismus und ADHS (Komorbidität)
Studie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein:
Daniel Schöttle, Benno G. Schimmelmann, Ludger Tebartz van Elst: ADHS und hochfunktionale Autismus-Spektrum-Störungen. Komorbidität oder Differenzialdiagnose? Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Diagnostik und Behandlung. Nervenheilkunde 2019, S. 632-642.
https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/pdf/10.1055/a-0959-2034.pdf
Artikel im Deutschen Ärzteblatt:
Britische Studie, auf die der Artikel Bezug nimmt:
https://jamanetwork.com/journals/jamanetworkopen/fullarticle/2830118
Was ist eine rezidivierende Depression?
https://www.deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe/was-ist-eine-depression/verlaufsformen
Zum Gleichnis der Odyssee bis zu einer Diagnose
https://neueswort.de/odyssee/#wbounce-modal
Zum Begriff der sogenannten „Kühlschrankmutter“ in der Psychoanalyse
https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%BChlschrankmutter
https://autismus-kultur.de/autismus-ursachen
Steve Silberman: Geniale Störung. Die geheime Geschichte des Autismus und warum wir Menschen brauchen, die anders denken
https://www.dumont-buchverlag.de/buch/steve-silberman-geniale-stoerung-9783832198459-t-4729
Zu den Begriffen Overload, Meltdown und Shutdown (Reizüberflutung, Ausbruch, Zusammenbruch)
Zum Themenkomplex Trauma und Autismus
Zur Podcastfolge 1 mit Bianca Bräulich
„Es gibt Dinge, die dringend nach außen müssen.“
Zur Arte-Doku „Autismus – Ein rätselhaftes Spektrum“
Jochens Sohn Jakob ist Protagonist, erzählt von sich
https://www.arte.tv/de/videos/116010-000-A/autismus-das-raetselhafte-spektrum
zum erwähnten Instagram-Beitrag mit Ausschnitten aus der Doku
https://www.instagram.com/reel/DIavajOt-Jd
„Mütter (Eltern) müssen nicht perfekt sein – es genügt wenn sie ausreichend sind…“
Zitat geht auf den Psychoanalytiker Donald W. Winnicott zurück („good-enough-mother“)
https://psychosozial-verlag.de/programm/1000/2664-detail
Zur Definition von Gesundheit laut der WHO (Weltgesundheitsorganisation)
„Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen.“ (https://www.who.int/about/governance/constitution)
Zur Podcastfolge 16 mit Stephanie Meer-Walter
https://spektrakulaer.podigee.io/33-spektrakular-folge-16-wie-geht-autismus-in-der-schule
Kritik an der Therapieform ABA (Applied Behavior Analysis)
https://autismus-kultur.de/fehlverhalten-der-verhaltensanalytiker
Kritik
Zum Episodischen Gedächtnis und kognitiven Besonderheiten bei Autismus https://www.christian-kissler.de/autismus-infos-zur-selbst-diagnostik/autismus-eine-kurze-beschreibung-des-st%C3%B6rungsbildes/weitere-kognitive-besonderheiten-bei-autismus/
Diskussionsbeitrag im Selbsthilfeforum von Aspies e.V: https://selbsthilfeforum.aspies.de/forum/index.php?thread/14050-erinnerung-bei-autist-innen/
Bericht zu britischer Studie über ungesehene Talente im neurodivergenten Spektrum: https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ungesehene-talente-bei-adhs-und-co-146940/seite/2/?cHash=0834b6c9dff9ce1ceab09c577aab9d08
Link zur britischen Studie:
Katherine J. Maw, Geoff Beattie, Edwin J. Burns: Cognitive strengths in neurodevelopmental disorders, conditions and differences: A critical review. Neuropsychologia, Volume 197, 3 May 2024: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0028393224000654