Folge 12

„Ein spektrakuläres Jahr“ – das Beste aus zwölf Monaten Autismus-Talk

Mit Mirjam Rosentreter, Marco Tiede und Rosa Petram

Erscheinungstermin: 1712.2024, Autorin: Mirjam Rosentreter

Vorweg ein paar Hinweise:

In unserem Podcast reden wir über Dinge, die vielleicht bei euch etwas anstoßen.

Bitte beachtet:

1.) Unsere Gespräche geben persönliche Erfahrungen wieder und erfüllen keinen wissenschaftlichen Anspruch. Das Hören oder Lesen unseres Podcasts ersetzt keinen Besuch in einer Praxis oder Beratungsstelle. Fühlt euch ermutigt, offen auf Menschen in eurem Umfeld zuzugehen. Oder sprecht Fachleute in eurer Nähe an.

2.) Fragen und Rückmeldungen könnt ihr über hallo@spektrakulaer.de an uns richten. Oder ihr kontaktiert uns auf unserem Instagram-Kanal @spektrakulaer_podcast. Gerne versuchen wir auf Themen einzugehen, die Euch interessieren. Persönliche Fragen zu Diagnostik oder Therapie können wir leider nicht beantworten.

3.) Im folgenden Abschnitt haben wir für euch unsere Sprachaufnahme transkribiert, also verschriftlicht. Als Text aufgeschrieben ist gesprochene Sprache nicht immer ganz korrekt und eindeutig verständlich. Das Manuskript entspricht auch nicht einem journalistisch überarbeiteten Interview.

4.) Dieser Podcast ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Wenn ihr uns oder unsere Gäste irgendwo zitieren wollt, bleibt fair: Achtet auf den Gesamtzusammenhang und denkt bitte immer an die Quellenangabe.

Im Zweifel gilt die schöne alte Regel: Lieber einmal mehr nachfragen.

Vielen Dank für eure Neugier und euer Verständnis!

Mirjam & Marco

Transkript:

0:00:00.000

Intro

Musik: (Joss Peach: Cherry On The Cake, lizensiert durch sonoton.music)

Sprecher: Spektrakulär – Eltern erkunden Autismus.

Mirjam Rosentreter: (Moderatorin/Host): Hallo. Mein Name ist Mirjam Rosentreter. Ich bin Journalistin, Mutter eines Sohnes im Autismus Spektrum, und ich mach das hier nicht alleine: Bei mir ist Marco Tiede.

Marco Tiede: (Co-Moderator/Co-Host): Ja, Moin! Ich bin auch Vater eines Jungen im Spektrum, und ich arbeite Therapeut und auch als Berater.

Intro-Ende: Musik + Geräuscheffekt (Klapper)

0:00:30.000

Mirjam Rosentreter: Hallo liebe Leute, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Und ein besonderer Gruß geht diesmal an alle Menschen, die uns ihre Geschichte erzählt haben aus ihrem Leben im Spektrum und aus ihrem Zusammenleben und Arbeiten mit Menschen im Spektrum. Herzlich willkommen also zu unserem ersten Jahresrückblick. Ein Jahr Spektrakulär liegt hinter uns, ein spektrakuläres Jahr. Geht das euch eigentlich auch so, dass euch, wenn ihr das sagt, immer, dass ‚R‘ jetzt dazwischen rutscht? Also ich kann gar nicht mehr spektakulär sagen.

Marco Tiede: Ja. Ist so, mh.

Rosa Petram: Das hab ich auch..

Mirjam Rosentreter: Ja, wie ihr merkt, sind wir heute zu dritt. Marco, wie immer.

Marco Tiede: Ja, moin.

Mirjam Rosentreter: Und herzlich willkommen Rosa!

Rosa Petram: Ja, hallo!

Mirjam Rosentreter: Rosa Petram ist unsere Projektkoordinatorin im Martinsclub Bremen. Und wir haben Sie heute eingeladen, weil das deine Idee war, dieser Jahresrückblick. Und du meintest, wir haben jetzt so viel erreicht dieses Jahr, so viel mehr, als wir eigentlich dachten. Wir haben auch so viel mehr produziert, Gespräche geführt, Leute kennengelernt, unsere Community ausgebaut, als wir uns das jemals vor einem Jahr vorgestellt hätten. Und jetzt in dieser stressigen Zeit – alle kennen das, ein Termin jagt den anderen, und irgendwie will man alles noch erledigt haben – wäre das doch mal ein guter Moment, um innezuhalten und einfach mal stolz, glücklich zurückzugucken, was wir alles so geschafft haben in diesem Jahr. Also vielen Dank für diese schöne Idee!

0:01:50.000

Rosa Petram: Ja, ich hatte nämlich gedacht, dadurch, dass ich noch nicht so lange hier im Team bin – das kann man ja nochmal dazu sagen, ich bin erst seit Oktober dabei – habe ich gedacht, irgendwie, vielleicht wäre das ja auch mal ganz gut, so aus eurer Perspektive. Also ich sitze jetzt hier auch gerade auf diesem Sessel und habe das Mikrofon vor mir und kann mal irgendwie so richtig so merken, okay, so ist das, wenn man hier einen Podcast macht und hier rein spricht und vielleicht ein bisschen aufgeregt ist – also ich war es auf jeden Fall oder bin es auch noch ein bisschen – und habe gedacht, irgendwie kann ich euch dadurch auch noch ein bisschen so kennenlernen und eure Arbeit und so, die ihr jetzt seit einem Jahr macht so. Und ja, genau, ich wollte euch nämlich beide fragen, was war denn dein Highlight?

0:02:39.000

Marco Tiede: Eigentlich war jeder Podcast ein Highlight. Also, jedes Gespräch, zu dem wir uns hier getroffen haben, war ein Höhepunkt und jeder war für sich besonders so, also Bianca Bräulich…

0:02:51.000

Bianca Bräulich (Ausschnitt aus Folge 1): Ich hattezu Grundschulzeiten unter anderem eine ADS-Diagnose erhalten und obwohl ich in keinster Weise hyperaktiv war, Ritalin sofort verschrieben bekommen. Das wurde damals noch gern und schnell gemacht. Meine Eltern haben dann aber sehr schnell gemerkt, dass dieses Zeug mich noch seltsamer macht, als ich es ohnehin schon war. Also ich hatte Stunden meines Lebens, die ich völlig weggetreten war, in denen ich nicht wusste, was passiert ist und nur auf- und abgetigert bin in der Wohnung. Und da haben meine Eltern von sich aus beschlossen, nach ein paar Wochen das Ritalin abzusetzen, von heute auf morgen. Und das hat plötzlich dazu geführt, dass ich Menschen nach und nach viel klarer wahrgenommen habe. Also aus der völligen Unklarheit, auch Gesichtsblindheit, die ich massiv hatte – habe ich auch immer noch, aber nicht mehr so stark ausgeprägt – bin ich in einen Zustand von sehr viel mehr Klarheit gekommen und habe verstanden, das sind Mitmenschen, die haben was mit mir zu tun, die sind in irgendeiner Weise mit mir verknüpft und die haben das Potenzial, auf meine Bedürfnisse einzugehen.

0:04:23.000

Marco Tiede: UndMartin Koliwer…

Martin Koliwer (Ausschnitt aus Folge 2): Man passt sich an, man versucht eben nicht aufzufallen, man versucht sich so gut einzufügen, wie man kann, und das gelingt häufig auch nach außen hin. Und dabei kommt natürlich nicht rüber, wie viel Energie das tatsächlich kostet, eben so zu wirken, als wäre halt nichts anders als bei anderen. Das heißt, ein Neurotypiker, der mit einem Autisten kommuniziert, kommuniziert als erstes mit dem Masking dieses Autisten. Und das zu verstehen ist erstmal ein ganz, ganz wichtiges Thema, ein ganz, ganz wichtiger Punkt. Dass du eben gleichzeitig nicht nur dich auf das Gespräch konzentrierst, sondern gleichzeitig auf die Beobachtungen, die du während dieses Gespräches machst, während du gleichzeitig versuchst, bestimmte Regeln einzuhalten. Dann versuchst du, diese Beobachtungen, die du machst, auszuwerten und gleichzeitig die Ergebnisse in das Gespräch einfließen zu lassen. Also im Prinzip bist du permanent auf Hochspannung.

Mirjam Rosentreter: Und Ella.

Marco Tiede: Ella.

0:05:20.000

Ella: Ich sage das auch immer den Lehrern, wenn wir was Neues lernen: „Sie brauchen sich nicht wundern, wenn ich mich jetzt die ersten paar Tage nicht melde. Das ist meine Beobachtungsphase.“ Ich gucke, wie die anderen das beantworten, damit ich erkenne, worum es genau geht. Ich interpretiere das dann nicht falsch, von meiner Seite aus. Weil, ich brauche dann immer jemanden sozusagen, der eine Vorlage bildet. So war es halt schon immer, auch schon in der ersten Klasse, da kann ich mich auch noch gut erinnern. Und wenn ich das dann gerafft habe, dann melde ich mich auch wieder. Da mache ich halt mit und dann setze ich halt meine Stärken – und das sind halt mein Gedächtnis und meine Kommunikation – ein und dann wird es meistens entweder sehr gut oder gut. Aber in der ersten Klasse hatten wir ja gerade das Schreiben gelernt, und meine Lehrerin wollte, dass ich das Wort ‚Tulpe‘ schreibe. Und ich habe sie nur gefragt: „Ja und wie mache ich das?“ Und sie hat geantwortet: „Ja, so wie man`s spricht!“ – Marco Tiede(lachend) Interessant! – Ich muss leider darauf sagen, das hatte nicht den Effekt, den die Lehrerin haben wollte. Stattdessen habe ich rumgeschrien, rumgejammert, dass sie mir da nicht helfen will, dass sie mir das nicht sagen möchte. „Können Sie mir das einmal schreiben, dann kann ich es verstehen!“ Das hat sie nicht gemacht. Das hat dann damit geendet, dass ich dann von der Schule abgeholt wurde. Also das war mein allererstes Mal, wo ich mich erinnere, dass ich eine Vorlage gebraucht hätte und keiner verstanden hatte, dass das wirklich so war.

Marco Tiede: Und, ähm….

Mirjam Rosentreter: Dievierte Folge war die Sonderfolge…

Marco Tiede: Unsere Tagungsfolge…

Mirjam Rosentreter: Zur Bundestagung von Autismus Deutschland.

Marco Tiede: Genau.

0:06:50.000

Mirjam Rosentreter (Ausschnitt aus Folge 4): Wir hatten doch gestern so einen netten Kontakt, als Sie uns am Tisch bedient haben. Haben Sie mit dem Thema Autismus privat zu tun? – (Servicekraft) Nein. – (Mirjam) Aber Sie haben ja ein bisschen was mitgekriegt. Was nehmen Sie für sich mit in den Alltag, was Sie hier gelernt haben? – Also ich nehme mit, dass es über Autismus gar nicht viel gibt, über die Medien, was ich sehr schade finde. Ich finde, ich habe hier einen ganzen Haufen sehr, sehr nette Menschen kennengelernt. Ich habe den Eindruck, dass jeder Einzelne ein riesengroßes Herz hat.

Marco Tiede:  Dann war Ludger Tebartz van Elst…

0:07:21.000

Prof. Ludger Tebartz van Elst (Ausschnitt aus Folge 5) Vieles von dem, was für alle Menschen wichtig ist, kann man am Thema Autismus oft besser entdecken, weil autistische Menschen eben nicht so durchschnittlich strukturiert sind. Mir ging das zum Beispiel so mit diesem Thema Großraumbüro zum Beispiel. Das ist für autistische Menschen ja oft ein No-Go, also daran kann ein autistischer Mensch, der an sich eine gute Begabung hat für die Sacharbeit, ohne Probleme scheitern. Eigentlich eine Vergeudung von Talent aus meiner Sicht, aus der gesellschaftlichen Perspektive. Aber eigentlich geht es den meisten anderen Menschen auch so. Auch für die meisten nicht-autistischen Menschen sind diese Großraumbüros nicht so toll, wie man denkt. Das ist ja nicht so, als wenn sich jeder neurotypische Mensch in so einem Großraumbüro wohlfühlt und das gut findet. Die finden das auch belastend. Die hätten auch alle viel lieber einen Einzelraum für sich und ihre Privatsphäre im Arbeitsleben. Das ist ja ein großer Teil des eigenen Lebens. Und das ging mir bei ganz, ganz vielen Themen so in der Folge, dass man eigentlich Besonderheiten und Dynamiken, wo ich anfangs immer dachte, das ist was autismusspezifisches, dass ich nachher dann für mich erkannte, im Grunde ist das bei allen Menschen so. Nur sind die Schwellen verschoben.

Marco Tiede: Und du hattest auch interviewt Christine Preißmann.

0:08:45.000

Dr. Christine Preißmann (Ausschnitt aus Extrapod 1): Das war so in der Endphase von meinem Medizinstudium, als ich eben immer depressiver geworden bin. Ich hatte damals erstmals darunter gelitten, dass ich eben alleine war, während die Kommilitonen immer in Gruppen zusammenstanden. Und dann hatte ich das Glück, dass ich an eine Therapeutin geraten bin, die sich ein bisschen mit dem Thema Autismus auskannte, weil sie eine Freundin hatte, die eben als Heilpädagogin auf dem Gebiet tätig war. Ja, und so ist es dann auch bei mir zu einer Diagnose gekommen, was im Nachhinein natürlich ein großer Glücksfall war. – (Mirjam Rosentreter) Warum war es Glück? –  Das ist was, was viele meiner Patienten so beschreiben, dass es einfach eine Erleichterung ist, einen Begriff für all die Auffälligkeiten zu haben. Also es war eine Erleichterung, es war eine Befreiung zu wissen, dass es kein eigenes Versagen war. Wird einem ja oft genug gesagt, stell dich doch nicht so an oder streng dich mehr an oder du könntest doch, wenn du nur wolltest. Und das war ungeheuer befreiend. Und ich erlebe das immer wieder heutzutage, dass es nicht nur betroffenen Menschen selbst, sondern eben auch für deren Eltern wirklich eine Erleichterung ist.

Mirjam Rosentreter: Hajo Seng…

0:09:55.000

Dr. Hajo Seng (Ausschnitt aus Extrapod 2): Also ich kriege dieses Gespräch mit zum Beispiel irgendwie, ich kriege das Gespräch daneben dran mit, ich kriege es sogar von da hinten. Also da kommen überall Gesprächsfetzen an. Und wenn ich da jetzt nicht wirklich ganz konzentriert mich auf das fokussiere, was Sie jetzt zum Beispiel sagen, dann hätte ich jetzt so eine Art Collage, wo ich dann aus dem Gesprächsfetzen – dann kommt ein bisschen was von Ihnen, kommt ein bisschen was von dort, kommt ein bisschen was von da – und das ist dann so was, was im Endeffekt eigentlich keinen Sinn mehr irgendwie ergibt. Und was mir sehr schwerfällt, ist tatsächlich so die anderen Sachen irgendwie runter zu regulieren, zu sagen, also es ist für mich kein Hintergrundgeräusch, sondern das konkurriert alles wirklich auf gleicher Ebene mit dem, was Sie da halt machen und eigentlich auch mit meiner eigenen Stimme sozusagen, also mit dem, was ich auch selber rede. Also das ist so, so nehme ich die Situation jetzt gerade hier wahr.

Marco Tiede: Und eine kurze Sequenz hatten wir mit Fabian Hoff, den wir gerne noch mal auch komplett als Gast begrüßen würden.

0:10:58.000

Fabian Hoff (Ausschnitt aus Extrapod 3): Also insbesondere in der Schule ist das Problem, Kinder gehen in die Schule rein, ziehen vorher ihre Rüstung an und können die in der Schule auch nicht ausziehen. Das heißt, die haben in der Schule nur begrenzte Möglichkeit, wieder sich zu regenerieren. Da geht es dann zum Beispiel darum, dass man als Schulbegleitung dann auch, wenn gewisse Sachen passiert sind, den Schultag einfach abbrechen muss, weil es nicht möglich ist. – (Marco Tiede) Meinst du mit Rüstung auch Maskierung oder ist das noch was anderes für dich? –  Nee. Die haben eine innere Anspannung, weil die jetzt performen müssen, weil die nach außen was darstellen müssen. Das heißt, solange wir uns im Raum Schule bewegen, ist es schwer, dass die Kinder sich wieder entspannen können, wenn die ein Overload erlebt haben oder einen Meltdown. Und ich arbeite derzeit als Klassenassistent in der Schweiz, aber ich bin halt eben auch Dozent. Ich biete eine Fortbildung an zum Thema Autismus und Schulbegleitung und eine zum Thema Autismus und Arbeit, über autistische Innenperspektive – ich sag mal so der Klassiker. Und ich habe ein Buch auch zum Thema Autismus und Schulbegleitung veröffentlicht.

Marco Tiede: Damals hattest du ja auch Jona kennengelernt…

Mirjam Rosentreter:  Genau:

Marco Tiede: Die dann ja auch hier zu Gast war, ne? Also hier, glaube ich, benannt als Jennifer Fromm.

0:12:06.000

Jennifer (Juna) Fromm (Ausschnitt aus Folge 10): Wir sind schon auch Survivor. Wir haben das überlebt, diese ganze Garstigkeit und Brutalität und also, das ist schon krass, also Isolierung und Ignoranz, das sind wirklich harte, also…. (unverständlich) Themen – (Mirjam Rosentreter) Du hast erzählt, dass sich irgendwann ein Mädchen getraut hat, dieses Thema Mobbing einfach anzusprechen und zwar mit der einfachen Frage: Warum macht ihr das? –  Ja, also sie hat sich dann für mich eingesetzt. Also sie hat einfach das hinterfragt, das Verhalten. Kann sein, dass manche tatsächlich dann auch noch sowas gesagt haben wie, na, weil sie blöd ist oder irgendwie so, kann sein. Aber sie hat das nicht durchgehen lassen. Also sie hat sich einfach weiter dafür eingesetzt, dass der Umgang miteinander freundlich, respektvoll und fair wird.

Marco Tiede: Und Mareke Tews…

0:13:05.000

Mareke Tews (Ausschnitt aus Folge 11): Du hattest mich damals schon darauf angesprochen, ob ich nicht Gast in der Sendung sein möchte. Und da hatte ich dann erstmal ein bisschen Bauchschmerzen damit, weil ich nicht wusste, ob ich, ja, ob ich mich traue, eben auch die Autistin zu sein. Und da hatte ich damals Bedenken, Mensch, dann, vielleicht nimmt man mich als Ergotherapeutin nicht mehr ernst. Und heute habe ich die Angst nicht mehr und deswegen bin ich heute hier. – (Mirjam Rosentreter) Wie kommt das? –Also genau diese Anfrage von dir, die hat das so bei mir nochmal ins Rollen gebracht, diesen Stein. Dass ich mir dachte, Mensch, aber das kann ja nicht sein! Denn als Ergotherapeutin vertrete ich ja ganz klar auch den Ansatz der Akzeptanz, der bedingungslosen Akzeptanz, die ich immer vertrete, auch den Eltern gegenüber. Es gibt ein anderes Fühlen, ein anderes Wahrnehmen, ein anderes Denken und vielleicht eben auch andere Verhaltensweisen, die uns oft in der Gesellschaft oder auch als Eltern irritieren, die wir aber, die eben mit dem Autismus-Spektrum einhergehen, die wir akzeptieren müssen. Und das beißt sich natürlich so ein bisschen mit dem Gedanken, Mensch, jetzt bin ich da in der Rolle als Ergotherapeutin, aber auch Autistin und habe vielleicht auch meine Schwierigkeiten hier und da. Ich kann ja trotzdem eben eine kompetente Ergotherapeutin sein und denen, meinen Klienten, Familien und Kindern helfen und unterstützen. Auf der anderen Seite kann ich aber eben auch Autistin sein und mit gewissen Dingen Schwierigkeiten haben.

Marco Tiede: Anna Jäger mit Florian Bosum…

Mirjam Rosentreter: Auch bekannt als Flo Mega.

0:14:39.000

Anna Irmgard Jäger (Ausschnitt aus Folge 9): Bis er fünf Jahre alt war, ging es ihm einfach nicht gut. Ich hatte das Gefühl, er hat Schmerzen. Also dieses Schreien. Es war ja auch nicht möglich, ihn anzufassen. Also ich habe ihn gestreichelt und daraufhin hat er die Stelle ganz oft gehauen. Und ich hatte den Eindruck, alle Sinne tun ihm weh, alle Sinne. Und ich glaube, es war auch so. Ich glaube, es hat sich ganz viel verändert bei ihm und er war selber auch erschrocken. Und ich habe diesen Schrecken und diese Angst auch in seinen Augen gesehen. Und nicht mehr im verbalen Dialog mit meinem Kind zu sein, war einfach eine sehr große Umstellung.

0:15:19.000

Florian Bosum (Flo Mega) (Ausschnitt aus Folge 9): Ich bin selber auch nicht unbedingt neurotypisch, also ich habe dann ein Draht zu ihm schnell gehabt, und er auch zu mir. Also es geht viel über Fühlen und Verständnis, Signale. Es ist was Feines, was Menschen aussenden. Und sein Wesen und mein Wesen haben sich verstanden. Und ich habe ihn ziemlich schnell auf dem Arm gehabt und mit ihm einfach kommuniziert. Seine Echolalie ein bisschen mitgemacht, selber auch ein bisschen wiederholt, was er für Geräusche und Sounds macht. Weil, das ist auch sehr musikalisch, also da ist was sehr Feines drin, was mich berührt hat oder was mich auch kreativ getriggert hat. Also das ist einfach so ein Ping-Pong dann geworden. – (Anna Jäger) Ja, ihr tauscht Geräusche aus. –Geräusche, Gestiken hin- und herspielen und so, das war schon cool.

Marco Tiede: Jason von Juterczenka…

0:16:20.000

Jason von Juterczenka (Ausschnitt aus Folge 7): Ich habe bestimmte Prinzipien und ich habe Fakten, die ich von außen aufnehme. Und aus diesen beiden Komponenten erfolgt immer ganz eindeutig bestimmt eine gewisse Handlung. Und wenn mich jemand nach dieser Handlung fragt, dann kann ich immer begründen, dass mit den und den Prinzipien und den und den Fakten, also bleibt nur die Handlung übrig. Das ist immer so. Und zu verstehen, dass das bei dem Großteil der Menschen so nicht der Fall ist, sondern dass Menschen einfach so handeln, einfach so etwas machen, einfach so etwas sagen, das war ein Prozess, der Zeit brauchte. Das habe ich, denke ich, mittlerweile verstanden bei meinen Eltern und überhaupt bei vielen neurotypischen Menschen, dass dem so ist. Ich komme ja praktisch immer noch aus diesem Selbstbild eigentlich, dass das die Normalität ist, weil, das ist ja logisch. Ich meine, ich kann mich immer irgendwie auf objektive Tatsachen, konnte ich mich stützen in meinem Verhalten, ich konnte es immer erklären, ich konnte es mir selbst erklären, es gab für mich gar keine Rätsel innerhalb praktisch meiner abgeschlossenen Denkweise. Die Rätsel kamen erst auf, als ich dann dachte, warum sind denn alle so derartig anders und warum sind sie untereinander nicht so derartig anders, sondern wieso ist diese Unterscheidung nur zu mir so groß?

Marco Tiede: Fabian Bianchi, der Lehrer.

0:17:35.000

Fabian Bianchi (Ausschnitt aus Folge 6): Dieser Lernprozess war ähnlich, wie wenn man eine Fremdsprache lernt – so war das für mich. Ich konnte vielleicht versuchen, etwas zu lernen, an der Mimik von Menschen zu erkennen. Deswegen habe ich später auch so gerne ‚Lie to me‘ geguckt, eine amerikanische Krimi-Serie mit dem Tim Roth. – (Marco Tiede) Wo dann an der Mikro-Mimik so ein bisschen studiert wurde, lügt der jetzt oder lügt der nicht. – Ja. Und gewisse neurotische Zwänge, wie Sachen in einer Reihenfolge zu essen, mit dem gleichen Fuß bei einer Treppe oben oder unten anzukommen, solche Zwänge, die keinen Sinn ergeben, aber sich irgendwie in mir manifestiert hatten. Meine Interessen gingen so sehr in den Bereich Statistik – ich habe komplette Systeme entwickelt als Kind, wie man Tennis-, Fußballturniere mit unterschiedlich starken Mannschaften auswürfeln kann. Ich habe mich mit solchen Sachen beschäftigt, während andere draußen waren und Fußball selbst gespielt haben. Und weil ich Menschen nicht verstanden habe, wenn nichts wirklich eindeutig war, da hatte ich irgendwie mehr Bezug zu den Hunden in der Familie als zu Menschen da draußen.

Marco Tiede: Und, ähm….

Mirjam Rosentreter: Unser Live-Podcast mit Imke Heuer!

Marco Tiede: Ach, Imke Heuer!

Mirjam Rosentreter: Im Kino City 46.

Marco Tiede: Stimmt, genau.

0:18:56.000

Dr. Imke Heuer (Ausschnitt aus Folge 8) Dann habe ich später aber mal eine Doku gesehen – das war, wo ich im Studium war – wo es hieß, dass autistische Menschen zwar selbst Gefühle hätten, aber dass sie nicht das Konzept hätten, dass andere Menschen Gefühle haben und dass ihnen sozusagen auch völlig egal wäre, was andere Menschen über sie denken. Und damit konnte ich mich nicht identifizieren, weil ich mich eigentlich selber so erlebt habe, dass ich eher zu viel mit Gefühlen hätte und bei vielem auch eher empfindlich war, verletzlich war, mich dann zurückziehen musste. Und da habe ich gedacht, nein, das kann ja gar nicht sein! Und dann habe ich nochmal Jahre später einen Artikel gelesen über autistische Frauen und habe da dann ganz andere Dinge gelesen, wo es gerade dieses Thema, sich nicht verstanden fühlen, Ausgrenzung erleben, aber auch eher sensibel zu sein, sich für andere Menschen auch zu interessieren, sich zum Beispiel auch für Literatur zu interessieren, was vorher in den Darstellungen eben auch nicht so war. Da ging es eher um Menschen, die rein technische Interessen hätten oder so Interessen an Verkehrsmitteln oder ähnlichem. Da habe ich dann gedacht, das klingt ja für mich so, ich glaube, wenn das so stimmt, dann bin ich auch Autistin. Das habe ich dann tatsächlich gedacht.

Rosa Petram: So viele Gäste, die das Ganze bereichert haben.

0:20:10.000

Marco Tiede: Vielen Dank an euch. Ohne euch könnten wir das ja nicht machen.
Also was mir natürlich trotz allem recht intensiv in Erinnerung blieb, weil ich mich dann auch davor und danach noch lange mit diesen Menschen beschäftigt habe, war Jason von Juterczenka. Im Prinzip kann man ja sein Leben die ganze Zeit fast live nachverfolgen, wenn man dann seinen Podcast, die Radiorebellen hört. Und ich habe natürlich auch seine Bücher gelesen, seine Reiseberichte, die er mit seinem Vater hatte. Also das erste Buch „Die Wochenrebellen“, das zweite Buch „Chaos auf Augenhöhe“. Da bin ich immer noch so ein bisschen dabei, so nachzuvollziehen, wie er so in die Welt kommt. Jetzt, wo er in Zürich angekommen ist, um dort zu studieren und sich auch noch mal so anderen Alltagsgegebenheiten zu stellen hat.

Rosa Petram: Das kann man auch gut nachvollziehen, wenn er selber einen Podcast hat. Mirjam, jetzt frage ich das jetzt auch nochmal an dich, was war denn dein Highlight?

0:21:12.000

Mirjam Rosentreter: Also ich habe mich zuletzt gefreut, dass unser vorletzter Podcast-Gast, Juna, uns hinterher das Feedback geschickt hat, dass es so schön gewesen sei, eingekuschelt ins Sofa, einfach den eigenen Podcast zu hören. Und das ist so die Erfahrung so insgesamt. Die Aufregung, die ich auch immer so davor habe, die entwickelt sich ja vor allen Dingen, weil ich das mit euch gut machen will, mit dir und unseren Gästen, Marco. Und ich denke, wir reden über so persönliche Dinge, hoffentlich fühlen sich die Gäste wohl damit. Und auch wenn es dann fertig ist und rausgeht in die Welt, dass sie dann noch denken, ja, ich kann dazu stehen, ja, das dürfen die anderen jetzt so hören. Und dass sie vielleicht dadurch auch, wenn sie sich dann hören, so von außen eine Perspektive wieder auf ihr eigenes Erleben bekommen, die neu ist, so die eigene Stimme hören, was da so rüberkommt. Und das fand ich besonders schön. Und das können wir euch auch schon mal sagen, im Jahr 2025 ist unsere Gästeliste schon gut gefüllt. Jetzt gucke ich wieder nach vorne, ja, aber noch…

Rosa Petram: …sind wir noch beim Rückblick. Okay, also ich habe noch eine weitere Frage. Was habt ihr durch den Podcast gelernt?

0:22:37.000

Marco Tiede: Ich glaube, der erste Lernpunkt war, dass so eine Beantragung von Fördergeldern verdammt lange dauert. Ja, du hast mich irgendwann im Herbst 21 oder so angesprochen.

Rosa Petram: Ach, dann, da entstand schon die Idee?

Mirjam Rosentreter: (lacht) Ja, ich weiß noch.

Marco Tiede: (lacht)Und ich dachte dann so, ja cool, können wir machen, vielleicht können wir dann ja schon im Januar starten.

Rosa Petram: Oh, wow! (lacht)

Marco Tiede: Und dann ist das erst Ende 23 geworden, ne?

Mirjam: Ja.

Marco Tiede: Ähm, was habe ich gelernt? Also ich lerne Menschen kennen, verschiedenster Couleur und Facetten, wie sie sich ausdrücken, mit verschiedenen Denkweisen und Wahrnehmungsweisen. Und ich wünschte, dass dann dieser kleine Raum, der das so selbstverständlich annimmt und aufnimmt, im wahrsten Sinne des Wortes, dass das dann auch in die Welt geht.

Rosa Petram: Ja.

Marco Tiede: Leute dürfen mehr Verständnis füreinander aufbringen, neurotypisch wie autistisch und neurodivergent sonst was alles.

Rosa Petram: Gab es auch etwas, das für euch herausfordernd war?

0:23:43.000

Mirjam Rosentreter: Als hier die Bundestagung war, da habe ich so viele Interviews am Rande gemacht und versucht, so viel mitzubekommen, dass ich am Ende sehr erschöpft war und dann hier das Gespräch mit Ludger Tebartz van Elst – da war Marco leider erkältet – dann in einem Zustand durchgezogen habe, wo ich eigentlich, ja, das Gefühl hatte, „es spricht“, also: ich.

Rosa Petram: Du warst gar nicht mehr anwesend?

Mirjam Rosentreter: Doch, ich war anwesend, aber es war wirklich, ich habe aus dem letzten Loch gepfiffen (lacht).

Rosa Petram: Und was war für dich herausfordernd?

0:24:22.000

Marco Tiede: Dass ich nicht dabei sein konnte bei Ludger Tebartz van Elst, weil ich krank war, das fand ich sehr schade. Ich hätte den Mann auch sehr gerne gesprochen.

0:24:30.000

Mirjam Rosentreter: Zum Glück gibt es ja unser Projekt, dank des erfolgreichen Förderantrags, ganze fünf Jahre lang. Und wir haben auch vor, es darüber hinaus weiterzuführen. Also, wir laden ihn einfach nochmal ein und dann nimmst du vorher ein heißes Bad (lachend) und tust dir was Gutes.

Marco Tiede: Ich bleib einfach gesund, würde ich sagen.

Mirjam Rosentreter: Ja.

Rosa Petram: Ich habe hier noch die Frage stehen, was für Pläne ihr in der Zukunft habt.

0:24:56.000

Mirjam Rosentreter: Also wir sind für Januar verabredet mit Tom Harrendorf. Das wird ganz sicher ein spannendes Gespräch, denn Tom geht so offensiv nach vorne, dass er damit auch gerne aneckt und bewusst aneckt. Und ab nächstem Jahr bringen wir auch so einmal im Quartal eine Sonderfolge raus, wo ich dann auch besondere Orte, besondere Menschen besuche und so als Reporterin auch mal so einen ganzen Tag oder mehrere Tage im Alltag von Menschen mit dabei bin.

Rosa Petram: Das hört sich gut an.

Mirjam: Vor allen Dingen wollen wir auch sehr bald endlich in das nonverbale Spektrum ein bisschen eintauchen, also in die Welt der Autistinnen und Autisten, die nicht ihre Sprechstimme zur Verfügung haben, sondern ihre Gefühle und Gedanken anders ausdrücken. Darauf freue ich mich auch schon sehr.

Rosa Petram: Ja, schön. Und weil jetzt bald Weihnachten ist, möchte ich euch fragen, vielleicht habt ihr ja noch so einen Wunsch für den Podcast. Was gäbe es, was ihr euch wünschen würdet für das nächste Jahr?

0:26:06.000

Marco Tiede: Ich weiß nicht, was realistisch ist. Ich habe da sowieso keinen Überblick oder kein Maß, was viel oder wenig ist, sowas wie eine Million Streams oder sowas?

Rosa Petram: (lachend)Das ist viel!

Marco Tiede: Das ist viel, ja okay. Jedenfalls wünsche ich mir, dass dieser Podcast auch bei Leuten Anklang findet, die eben nicht so in dieser ganzen Neurodivergenz-Bubble sind. Dass auch Leute, die damit wenig Berührung hatten bisher, darauf aufmerksam werden und das vielleicht auch spannend finden und bestenfalls dann auch wieder ein neues Verständnis aufbauen für Leute, die ihnen vielleicht bislang etwas seltsam oder befremdlich erschienen sind. Dass sie dann denken, ach wenn ich das damit vergleiche und der scheint auch im Spektrum zu sein, dann ist das ja gar nicht verwunderlich, dass der sich so und so verhält oder so. Und dann weiß, ach so, alles klar.

0:27:06.000

Rosa Petram: Ja, also als Person, die vorher nichts mit eurem Podcast erst mal so zu tun hatte, muss ich auch sagen, so das, was ich so erst mal mitgenommen habe durch das Hören, ist nochmal, wie vielfältig wir alle sind, wie unterschiedlich wir alle sind, wie individuell wir alle sind so. Und sich vorher ein Bild über eine Person machen, bevor man nicht mit der Person gesprochen hat oder einfach diese Person gar nicht so kennt, dass das meistens einfach nicht richtig ist, weil man das gar nicht so sagen kann, weil wir alle einfach ganz unterschiedlich sind.

0:27:40.000

Mirjam Rosentreter: Also teilt euren Link zu Spektrakulär. Erzählt es weiter. Jedes Herzchen, das wir kriegen, zum Beispiel über Instagram, bedeutet ganz viel.

Rosa Petram: Und gebt uns gerne Feedback.

Mirjam Rosentreter: Genau, ihr könnt uns eine E-Mail schreiben, an hallo@ spektrakulaer.de, mit A-E geschrieben. Ihr könnt uns auf Instagram folgen, spektrakulaer(mit A-E)_(unterstrich)podcast.

Marco Tiede: Euch noch besinnliche Feiertage, wie auch immer ihr sie verbringt, mit und ohne Weihnachtsgedöns, egal. Und guten Start ins neue Jahr.

Rosa Petram: Ja, auch von mir. Kommt gut ins neue Jahr und bis dann!

Mirjam Rosentreter: Mach’s gut! Tschüss!

0:28:28.000

Outro

Sprecher: Das war Spektrakulär – Eltern erkunden Autismus.

Mirjam: Unsere Kontaktdaten und alle Infos zu unseren Folgen findest du in den Shownotes auf unserer Seite spektrakulaer.de.

Sprecher: Der Podcast aus dem Martinsclub Bremen. Gefördert durch die Heidehof-Stiftung, die Waldemar-Koch-Stiftung und die Aktion Mensch.

Musik: (Joss Peach: Cherry On The Cake, lizensiert durch sonoton.music)

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